Die Gesundheitsgespräche in Alpbach drehen sich 2016 um digitale Medizin. Was bringt sie uns? Und spart sie Geld?
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Wien. Alles, was sie über ihre Patienten wissen muss, hat die Augenärztin Jasmin Azem auf Knopfdruck. Die Dame, die soeben vor ihr sitzt, hat gerade einen Sehtest in einer anderen Abteilung des Augenzentrums gemacht. "Beginnende Altersweitsicht, -1/+1,5 Dioptrien mit Hornhautverkrümmung am rechten Auge", liest die Ärztin vom Bildschirm. Zum Gegencheck macht sie einen zweiten Sehtest, misst danach den Augenhintergrund und empfiehlt schließlich Gleitsicht-Kontaktlinsen. "Mit Gleitsicht-Brillen hätten Sie keine Freude, nehme ich an. Die muss man nämlich ständig tragen und Sie verzichten ja schon jetzt auf Ihre Augengläser, wo es nur geht", sagt Jasmin Azem, mit einem Schmunzeln. Und schon kommt der Nächste dran.
Das Patientendaten-Intranet des Wiener Augenzentrums ist ein Beispiel für angewandtes elektronisches Gesundheitsmanagement. Der Ärztin hilft es, ihre gut besuchte Ordination bestmöglich zu managen. Spitälern sollen neue Medizintechnologien hingegen mehr Präzision ermöglichen, dem Gesundheitswesen soll die systemische Vernetzung Geld sparen. "Die Medizin zwischen alten Mythen und neuen Möglichkeiten" ist das Thema der Gesundheitsgespräche von 21. bis 23. August beim Forum Alpbach zur digitalen Medizin.
Google für Medizin
Worum es dabei geht: Unter dem Schlagwort E-Health firmiert praktisch alles im Gesundheitsbereich, das neu und technologiegetrieben ist - von Patientenmanagement über die umstrittenen Elektronische Gesundheitsakte bis hin zum gläsernen Patienten, schnelleren Diagnose-Auswertungen und Robotern statt Ärzten als Diagnostiker. In Alpbach sollen nun die Perspektiven der vernetzten, digitalen Medizin in einer alternden und und wachsenden Bevölkerung analysiert werden. Denn noch weiß niemand, ob E-Health (wie eingangs im Augenzentrum) uns in erster Linie Freude macht, und ob es den Gesundheitssystemen tatsächlich Geld sparen wird. Zunächst erreichen jedenfalls jede Menge Ideen, mit denen Weltkonzerne Geld verdienen wollen, die Schlagzeilen. In dieser Welt der Visionen wird der Patient zum "Kunden", denn die Systeme betreffen alle Menschen, ob krank oder gesund.
Für den Computer ist jeder immer erreichbar - mit jeder App, mit der er seine Schritte oder bereits gegessene Kalorien zählt. "Wer krank ist, schaut in Google nach und nutzt die Suchfunktion als Hausarzt. Derzeit meldet sich dort jeder zu Wort. Daher wird an einem Google für Medizin gearbeitet, das qualifiziert-sinnvolle Antworten ausspucken soll", sagt Boris Augurzky, Leiter des Kompetenzbereichs Gesundheit des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung, und einer der Redner in Alpbach: Es entstünde eine neue Art der Verbindung zwischen Gesundheitsdienstleister und Patient, die keinen Arzt aus Fleisch und Blut erfordert.
Erkrankte könnten sich etwa einen Termin bei "Watson" ausmachen. Der Roboter, den der Softwareriese IBM derzeit entwickelt, soll ein guter Diagnostiker werden und könnte irgendwann sogar Medikamente verschreiben, die Drohnen dann nach Hause liefern. Im afrikanischen Malawi wurde bereits ein Pilotversuch gestartet, bei dem eine Drohne Blut zum Aids-Test fliegt. Statt in Wochen oder Monaten kann ein Testergebnis damit sogar in unerschlossenen Gebieten innerhalb von nur fünf Tagen vorliegen.
Gerade das Beispiel Aids-Tests zeigt, dass hinter den Visionen ein realer Bedarf steht, der auch existieren würde, wenn es keine Konzerne gäbe, die Hightech-Instrumente entwickeln und verkaufen. "Es gibt immer weniger junge und immer mehr ältere Menschen als früher. Somit haben wir weniger Leute mit geringem medizinischen Bedarf, weniger Arbeitnehmer im Gesundheitssektor und weniger Junge auf dem Land. Die steigende Zahl der Älteren muss jemand versorgen", betont Augurzky.
Die Gesundheitsversorgung in dünn besiedelten Regionen wird immer schwieriger. Die Menschen werden älter, die Infrastruktur schlechter und die Hausärzte weniger. Eine Lösung soll Ambient Assistend Living darstellen: Technologien, die den Gesundheitszustand von der Ferne messen.
Etwa könnte jemand auf dem Land seine Blutwerte in den Computer eingeben und an seinen Arzt in der Stadt schicken. Weiters hat der Elektronikkonzern Philips jüngst ein 17-Millionen-Euro-Projekt gestartet, in dessen Mittelpunkt Herzpatienten stehen. Sie werden nach ihrer Entlassung aus dem Spital auf freiwilliger Basis mit Blutdruck-Uhren ausgestattet, deren Werte per App an eine Zentrale mit 24-Stunden-Betreuung gesendet wird, wo die Daten der Medizin-Apps ausgewertet werden.
Bürokratie oder Transparenz?
Ersetzt die Technologie den Arzt? "Keineswegs", sagt Michael Heinisch, Geschäftsführer der Vinzenz Gruppe, die Privatkrankenhäuser betreibt "Wir führen eine Debatte unter Experten, wenn es um Menschen geht", räumt er ein: "Im Grunde muss man schauen, dass alle Sektoren - Ärzte, Spitäler, das ganze Gesundheitssystem - besser zusammenarbeiten, damit wir mehr Zeit haben für die Patientengespräche", fasst er den Sinn von E-Health aus seiner Sicht zusammen.
Ein Werkzeug ist in Österreich die Elektronische Gesundheitsakte, auf der alle Patienten-Daten gespeichert sind. Somit hat jeder behandelnde Arzt die gleichen Informationen, muss der Patient sich keine Liste aller relevanten Fakten machen, wenn er zum Doktor geht, und sinkt der bürokratische Aufwand. Dem gegenüber stehen zwei Ängste: Jene vor dem gläsernen Menschen und jene, dass Fehldiagnosen transparenter werden.
Im "Wiener Journal" zum Thema Alpbach vom 12. August hat sich bei Mariana Mazzucato ein s dazu geschwindelt. Wir bedauern.
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