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Wenn ein Papst gewählt wird . . .

Von Heiner Boberski

Gastkommentare
Heiner Boberski ist Journalist und Buchautor. Er war unter anderem Chefredakteur der "Furche" und langjähriger "Wiener Zeitung"-Wissenschaftsredakteur.
© privat

2023 - ein Jahr der Konklave-Jubiläen und der Besinnung auf (kirchen)historische Weichenstellungen.


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Vor 60 Jahren, am 19. Juni 1963, beginnt in Rom das Konklave, in dem der Nachfolger für den am 3. Juni verstorbenen Papst Johannes XXIII. gewählt werden soll. Die große Frage lautet, ob der neue Pontifex das von Johannes einberufene Zweite Vatikanische Konzil fortsetzen oder, wie es starke konservative Kräfte wünschen, abbrechen wird. Nach der Andeutung, den konservativen Kardinal Amleto Cicognani als Staatssekretär zu behalten, erringt der Mailänder Kardinal Giovanni Battista Montini am 21. Juni im sechsten Wahlgang die erforderliche Zweidrittelmehrheit.

Der Name dieses neuen Papstes, Paul VI., macht sein Programm, als reisender Apostel zu agieren, sichtbar. Seine große Leistung ist die Fortsetzung des Konzils, wobei er sich in mitunter wohl zu hohem Maß um "kompromissliche" Formulierungen in den Dokumenten bemüht. Paul VI. hat progressive, aber auch viele konservative Züge, die vor allem durch seine Enzyklika "Humanae vitae" von 1968 - mit der Ablehnung von künstlicher Empfängnisverhütung - in Erinnerung bleiben.

Zum 65. Mal jährt sich am 28. Oktober jener Tag, an dem der berühmte weiße Rauch aus der Sixtinischen Kapelle für Johannes XXIII. (Angelo Roncalli) aufsteigt, den ebenso weisen wie menschlich einnehmenden Patriarchen von Venedig und ehemaligen Vatikan-Diplomaten. Sein kurzes Pontifikat hat in der römisch-katholischen Kirche viel mehr Bewegung ausgelöst als weitaus längere Amtszeiten anderer Päpste.

Eine Papstwahl als Anfang, dem ein Zauber innewohnt

Ob es um eine Präsidentschaft, einen Parteivorsitz oder ein hohes Kirchenamt geht - Personalentscheidungen stellen Weichen. Papstwahlen sind für die Kirche, aber auch darüber hinaus bedeutsam. Ins Jahr 2023 fallen mehrere Konklave-Jubiläen mit spannenden historischen Hintergründen. So war es im März genau 10 Jahre her, dass erstmals seit anderthalb Jahrtausenden ein Nicht-Europäer Bischof von Rom wurde. Vorangegangen ist dem Pontifikat des Argentiniers Franziskus (Jorge Mario Bergoglio) der äußerst seltene Amtsverzicht eines Papstes, mit dem Benedikt XVI. (Joseph Ratzinger) Geschichte geschrieben hat.

Wenn ein Papst gewählt wird, ist das vielen egal oder weckt bestehende Ressentiments gegen Kirchen und Religionen, Gedanken an eine Machtposition und die Diskrepanz zwischen kirchlichem Prunk und tätiger christlicher Nächstenliebe. Wer der katholischen Kirche freundlich gegenübersteht, kann ein neues Pontifikat aber auch als Anfang sehen, dem ein Zauber innewohnt. Wenn ein Papst gewählt wird, hoffen viele, dass der neue Pontifex längst fällige Reformen auf den Weg bringt, andere, dass es zu einer konservativen Wende kommt oder alles nur so bleiben möge, wie es ist.

Am 19. November jährt sich zum 500. Mal eine problematische Weichenstellung: die Wahl von Giulio de’ Medici zu Papst Clemens VII., den der große Historiker Leopold von Ranke später als "unheilvollsten aller Päpste" einstufen wird. Clemens VII. folgt 1523 auf den nur anderthalb Jahre lang regierenden Hadrian VI. (Adrian Florensz), den für lange Zeit letzten nicht-italienischen Bischof von Rom. Hadrians Bemühen, mit den von Martin Luther aufgezeigten Missständen in der katholischen Kirche aufzuräumen, wird ihm nicht gedankt. Die Römer feiern den Tod des "Ausländers".

Johannes Paul II. und der Fall des Eisernen Vorhangs

Der nächste "Ausländer" kommt aus Polen und tritt erst vor 45 Jahren, am 16. Oktober 1978, als neuer Pontifex auf die Loggia des Petersdoms. In diesem Drei-Päpste-Jahr 1978 wird zunächst am 26. August der venezianische Patriarch Albino Luciani zum Papst gewählt und nimmt in Verehrung seiner Vorgänger den Doppelnamen Johannes Paul an. Als dieser "lächelnde Papst" nach nur einem knappen Monat im Amt stirbt, was viele Gerüchte aufkommen lässt, findet sich aus Italien kein aussichtsreicher Kandidat mehr.

Der Weg ist frei für den vom österreichischen Kardinal Franz König unterstützten Erzbischof von Krakau Karol Wojtyla. Als mediengewandter "eiliger Vater" Johannes Paul II. erlebt er eines der längsten Pontifikate der Kirchengeschichte, reich an Rekorden, was die zurückgelegten Reisekilometer, die Zahlen von Selig- und Heiligsprechungen sowie Ernennungen von - vorwiegend konservativen - Bischöfen und Kardinälen betrifft. Eine gewichtige Schattenseite seiner Amtszeit wird erst nach seinem Tod deutlich erkennbar: die Vertuschung unzähliger Missbrauchsfälle im kirchlichen Umfeld.

Die historische Weichenstellung im Konklave vom Oktober 1978, die Wahl eines polnischen Papstes, trägt zum Fall des Eisernen Vorhangs bei. Natürlich kommt ihm dabei eine andere Weichenstellung entscheidend zu Hilfe: die Machtübernahme im Kreml durch den Reformkommunisten Michail Gorbatschow. Auf jeden Fall zeigt sich, wie sehr bestimmte Personen den Lauf der Geschichte beeinflussen. Darum werden politische und kirchliche Ausleseprozesse nicht selten von Versuchen der Manipulation begleitet.

Ein Manipulationsversuch namens "Exklusionsrecht"

Bezüglich der Papstwahl heißt einer dieser Manipulationsversuche jahrhundertelang "Exklusionsrecht" ("Ius exclusivae"), das sich politische Mächte anmaßen, um ihnen unangenehme Kandidaten zu verhindern. Vor 200 Jahren, am 21. September 1823, erklärt Kardinal Giuseppe Albani als Bevollmächtigter Österreichs im Konklave: "In meiner Eigenschaft als außerordentlicher Gesandter bei dem im Konklave versammelten Heiligen Kollegium (...) sowie vermöge der mir erteilten Instruktionen erfülle ich die unangenehme Pflicht zu erklären, dass der k.k. Hof zu Wien Seine Eminenz den Kardinal Severoli nicht als Papst annehmen kann und ihn ausdrücklich ausschließt."

Die 51 Kardinäle, von denen bereits 26 für Antonio Severoli gestimmt haben, versagen daraufhin diesem, der als Nuntius in Wien den österreichischen Kaiser verärgert hat, die notwendige Zweidrittelmehrheit. Sie wählen Annibale della Genga zum Papst, und zwar rasch, weil es bereits Gerüchte gibt, gegen diesen Kandidaten bereite Frankreich einen Einspruch vor. Della Genga nimmt den Namen Leo XII. an und fragt die Kardinäle empört, warum sie "ein abgemagertes Skelett" zum Papst gewählt haben.

Vor 120 Jahren wird im Konklave ein letztes Mal vom "Exklusionsrecht" Gebrauch gemacht, wieder durch den Kaiser von Österreich. In dessen Namen legt Kardinal Kniaz de Kozielsko Puzyna von Krakau - der Wiener Kardinal Anton Gruscha hat diesen Schritt verweigert - im Konklave gegen Kardinal Mariano Rampolla, als dieser bei etwa der Hälfte der Wählerstimmen hält, ein Veto ein. Vermutlich ist das unnötig, denn Rampolla dürfte ohnehin zu viele Gegner haben, um die Zweidrittelmehrheit zu erreichen. Gewählt wird am 4. August 1903 der venezianische Patriarch Giuseppe Sarto, der als Pius X. unter Androhung der Exkommunikation allen künftigen Versuchen weltlicher Einmischung in die Papstwahl eine bis heute wirksame Absage erteilt.

Gemäß dem Schlagwort von der stets zu erneuernden Kirche ("Ecclesia semper reformanda") ist auch deren Umgang mit Abstimmungen, etwa der Papstwahl, ein ständiger Lernprozess. Die Kirche ist keine Demokratie, aber mancher mag überrascht sein, dass bereits von Papst Pius VII., der vor 200 Jahren, am 20. August 1823, starb, der Satz überliefert ist: "Werdet ganze Christen, dann werdet ihr auch gute Demokraten."