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Die Ursachen der türkischen Krawalle sind im Inland zu suchen und im Inland zu bekämpfen.
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Wer trägt die Verantwortung für die gewalttätigen Übergriffe bei friedlichen Demonstrationen?
Wenn manche Politiker und Kommentatoren behaupten, die Ausschreitungen seien ein importierter ethnischer Konflikt zwischen Türken und Kurden, der sich in Europa fortsetze, ist das eine sehr verkürzte Darstellung, die die komplexen Ursachen nicht erkennen will. Bei den Angriffen von Randalierern mit niedrigem Durchschnittsalter auf Demonstrantinnen und Demonstranten, die gegen das Morden in Nordsyrien und für Frauenrechte auf die Straße gingen, prallten mehrere Gegensatzpaare aufeinander: Rechts und Links, Konservativ und Liberal, Mann und Frau, Nationalismus und Weltoffenheit.
Im Kontext dieser Vorkommnisse haben die österreichische und die türkische Regierung jeweils Menschen für politische Strategien instrumentalisiert.
Seit Europa hohe Mauern um seine Außengrenzen errichtet hat, lässt es die Eingänge von den effizienten Potentaten der Mittelmeer-Anrainerstaaten bewachen. Und jener am Bosporus ist besonders geschickt darin, den Preis für diese multilaterale Dienstleistung in die Höhe zu treiben. Dafür benutzt er Menschen, sowohl die aus den Kriegsgebieten Geflüchteten, die er zeitweise die Grenzen stürmen lässt, als auch die eigene Diaspora. Diese wird im Rahmen der türkischen Europapolitik nicht nur mit guten Worten unterstützt, sondern auch tat- und finanzkräftig in einem transnationalen Netzwerk von Organisationen.
In Österreich haben rechtsextreme und rechtskonservative Kreise ebenfalls die Erfahrung gemacht, dass dieselben Menschen - Geflüchtete, Zuwanderer und deren Nachkommen - sich für die Durchsetzung politischer Ziele als nützlich erweisen. Türken und Kurden kommen gerade recht als Sündenböcke für Dinge, die nicht so sind, wie die Bürger sie sich wünschen. Schließlich stehen in Wien Wahlen an. Die Angreifer von Favoriten leben aber in Österreich, daher tut man gut daran, die Ursachen im Inland zu suchen und im Inland zu bekämpfen. Sie wachsen hier auf, gehen hier zur Schule und erleben neben Einflüsterungen aus dem fernen Ankara auch ganz aus der Nähe und alltäglich Diskriminierungen durch die dominante islam-, und migrationsfeindliche Stimmung.
Eine nachhaltige Integrationspolitik kann nur darin bestehen, Teilhabe aller im Land lebender Menschen an politischen und gesellschaftlichen Prozessen zu gewährleisten. Dazu bedarf es eines Bildungssystems, das nicht nur Eliten fördert, sondern Chancengleichheit auch für benachteiligte Gruppen anstrebt. Auf politischer Ebene bedeutet dies die Zuerkennung des Wahlrechts nach zu definierenden Fristen und niedrigere Hürden beim Erwerb der Staatsbürgerschaft. Und die Betreuung von Schülern und Studenten in Sportklubs und Kulturvereinen darf nicht den türkischen Diaspora-Organisationen überlassen werden. Denn junge Männer ohne Hoffnung und ohne Perspektive, die weder Erfolge noch Wertschätzung erleben, sind anfällig für extremistische Propaganda, sei sie religiös oder nationalistisch oder motiviert. Gerade in Österreich müsste man um solch eine explosive Gemengelage wissen.