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Wenn Forscher das Fernweh packt

Von Eva Stanzl aus New York

Wissen
Daten von Wiener Taxis, wie intensiv Straßen genutzt werden, könnten künftig Staus vermeiden.

100 bis 200 Forscher kehren jährlich nach Österreich zurück. | Firmengründung leichter als hierzulande, aber Geld wird weniger.


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Dass Genies nicht einfach vom Himmel fallen, wird an kaum einem Ort so deutlich wie am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT). Bis zu 16 Stunden täglich arbeiten die an der US-Spitzenuniversität tätigen Wissenschafter. Glaubt man US-Medien, gehören für viele Aufputschmittel zum Tageskonsum. Andere wiederum vergessen vor lauter Forscherdrang hin und wieder auf die tägliche Nahrungsaufnahme.

Nichtsdestotrotz wollte Katja Schechtner unbedingt an das MIT. "Dort wurden etwa die Hologramme für Bankomatkarten erfunden. Oder es wird an der Konstruktion von Robotern gearbeitet, die Sprache erlernen sollen wie Menschen. In beispielloser Konzentration werden dort heute Dinge gemacht, die morgen genutzt werden", sagt die Leiterin der Abteilung für Dynamische Transportsysteme am Austrian Institute of Technology (AIT), Österreichs größtem Institut für außeruniversitäre Forschung.

Der Traum der wissenschaftlichen Managerin, die an der Technischen Universität Wien Architektur und Raumplanung studiert hat, wurde bei einer Fachtagung in den USA wahr. Zufällig trafen die Richtigen aufeinander. Schechtner und Marta Gonzales, ihre Kollegin vom MIT, starteten einen Austausch, der zu einer Kooperation der beiden Institute führte.

Schechtner beforscht die Optimierung von Verkehrssystemen, damit Fußgänger, Radfahrer, öffentlicher Verkehr und motorisierter Individualverkehr schneller und umweltfreundlicher von A nach B kommen, während das Gesamtverkehrssystem weiterhin funktioniert. Mit dieser Expertise fungiert sie vier Monate im Jahr als Visiting Scholar (Gastprofessorin) in Massachusetts.

Suche in digitalen Bröseln

Ihre US-Kollegin Marta Gonzales wiederum vertieft sich in ein Gebiet mit dem mysteriösen Namen "Mobility Networks". Dahinter steht die Suche nach Spuren in den digitalen Bröseln, die jeder Mensch heute tagtäglich hinterlässt - Mobiltelefone und GPS-Geräte geben Aufschluss über jeden Weg. Mit Hilfe bestimmter Algorithmen will Gonzales daraus das (zukünftige) Verhalten von Menschen in Städten errechnen, um Energie effizienter verteilen zu können, oder um zu verstehen, wie soziale Verbindungen sich auf Entscheidungen auswirken.

Dass Ortungsdaten aus mobilen Geräten die Basis ihrer Arbeit sind, ist eher zweitrangig für die Forscherinnen. "Diese Daten werden von offiziellen Stellen und Unternehmen gesammelt und wir können darin nicht die Bewegungen einzelner Individuen erkennen. Wir können die Daten nutzen, um unser Wissen zusammenzulegen - oder sie liegen brach", sagt Gonzales, die ihrerseits für einige Zeit am AIT arbeiten wird.

In den USA, wo die besten Unis der Welt untergebracht sind, liefern Österreicher respektable Resultate. Von den 150 Teilnehmern des "Austrian Science Talk 2011" am Wochenende in New York hat rund ein Drittel an Spitzen-Unis wie Harvard oder Johns Hopkins zu tun. Bei der vom Infrastrukturministerium und vom Office of Science and Technology (OST) an der österreichischen Botschaft in Washington organisierten Veranstaltung trafen in Nordamerika tätige Österreicher auf heimische Vertreter der Forschung.

Im Anschluss an die Konferenz, die seit 2004 jährlich abgehalten wird, wurde Leistung belohnt: Der Mathematiker Georg Stadler und der Chemiker Thomas Karl erhielten Ascina-Awards, eine mit zweimal 10.000 Euro dotierte Auszeichnung für hervorragende wissenschaftliche Publikationen für etablierte und Nachwuchs-Forscher. Der Preis wird vom Wissenschaftsministerium und dem privaten Netzwerk "Austrian Scientists and Scholars in North America" (Ascina) vergeben. Rund 1500 aus Österreich stammende, in den USA tätige Forscher sind hier registriert. Ascina-Präsident Thomas Nagele, Anästhesist von der Washington University School of Medicine, schätzt, dass insgesamt jedoch 3000 Österreicher in Nordamerika forschen.

Doch kommen die guten Leute auch wieder zurück? Die Tatsache, dass heuer 13 der begehrten "Starting Grants" des EU-Forschungsrats an Österreich gehen, jedoch keines der Nachwuchstalente hierzulande geboren ist, lassen darauf schließen, dass sie im Ausland bleiben, wo ihnen mehr Geld aus Privatkapital zur Verfügung steht, mit dem sie langfristiger planen können. Ist ihnen die heimische Förderlandschaft zu kleinteilig, zu gering dotiert?

Die Antworten sind so unterschiedlich wie die Ausgangspositionen und Individuen selbst. Nagele geht von 100 bis 200 Rückkehrern jährlich aus, er betont jedoch, dass ebenso viele in die USA kämen. Die Dauer des Aufenthalts hänge davon ab, wie der Forschungsauftrag definiert ist.

Der Krebsforscher Robert Schiestl vom Institut für Medizin der University of California hat eine Rückkehr bereits in die Wege geleitet. Der Wiener hat mit seinem US-Team einen Mechanismus zur Verhütung von Krebs entdeckt, der bei Mäusen das Risiko reduziert, an Strahlen-induzierter Leukämie zu erkranken. Erste Tests hätten zudem ergeben, dass der Wirkstoff auch den Alterungsprozess verlangsamen kann, indem er die genetische Instabilität reduziert. Schiestls Ziel ist, die Substanz in den USA und aus Österreich in Europa zu vermarkten.

Damit er auf dem Weg zum Markt nicht zu früh zu viele Anteile an seiner Erfindung verliert, will er sich zunächst nicht mit Risikokapital-Gebern einlassen, sondern sich auf öffentliche Förderungen verlassen. Dazu zählt ein Programm des Wissenschaftsfonds (FWF), das Grundlagenforschung in Anwendungen überführen soll, sowie auf eine Vorgründungsfinanzierung ("Pre-Seed") der Austria Wirtschaftsservice mit dem Ziel der Unternehmensgründung. In den USA sucht Schiestl um das dortige Äquivalent an - das "Strategic Partnership for Industrial Resurgence" (SPIR) der US-Academy of Sciences. Dass der FWF im Fall einer Bewilligung rund 300.000 Euro auszahlen würde und SPIR eine Million, stört ihn nicht: "Dafür liegt die Bewilligungsquote in Österreich bei 30 und in den USA bei zehn Prozent."

Der Weg zum Unternehmen

Der Kärntner Tillmann Gerngross, Biotechnologe an der Thayer School of Engineering in Dartmouth, New Hampshire, und Gründer von mehreren Start-Up-Unternehmen, hält wenig von öffentlichen Förderungen. "Dabei bekommt man zwar immer Geld, aber zu wenig, um wirklich etwas machen zu können", sagt er. Gerngross hat unter anderem eine Technologie entwickelt zur Herstellung von therapeutischen Antikörpern, die er mit Hilfe von Venture-Capital-Gebern marktfähig machen konnte. Zurückkehren will der Mittvierziger nicht: "Vor vier Jahren hatte ich ein Angebot der ETH Zürich. Das habe ich abgelehnt. Jetzt nach Österreich zu gehen, wäre wie wenn man von der Nationalmannschaft in die Bundesliga wechselt."