Parteien können das Recht begrenzt selbst wählen. | Grundprinzipien des Staats dürfen nicht verletzt werden. | Wien. In Großbritannien werden die Rufe nach der Anwendung des islamischen Scharia-Rechts vor staatlichen Gerichten immer lauter. Mittlerweile arbeiten eigene Scharia-Räte mit den Gerichten zusammen, um bei Rechtsstreitigkeiten zwischen Muslimen Lösungen zu erarbeiten, die sowohl mit dem islamischen Rechtssystem vereinbar als auch nach britischem Recht zulässig sind.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 15 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Dass vor staatlichen Gerichten neben dem staatlichen Recht auch noch andere Regelungen gelten sollen, ist nicht nur in Großbritannien ein Thema.
"Nicht-staatliche Rechtsordnungen sind in den letzten Jahrzehnten wichtig geworden", berichtet Mathias Reimann, Professor an der University of Michigan Law School, bei einer Veranstaltung über die Grenzen und Chancen der Rechtswahl. Solche nicht-staatlichen Normen reichen von religiösen Rechtssystemen über spezielle Rechtsordnungen für internationale Handelsbeziehungen bis hin zu Billigkeitsklauseln.
Das staatliche Recht würde der Internationalisierung und der rasanten Entwicklung der Wirtschaft nicht nachkommen, erklärt Reimann. Andere Regelwerke hingegen könnten rascher reagieren und würden den Bedürfnissen der Parteien oft besser entsprechen.
Dennoch ist es heftig umstritten, ob die Parteien vereinbaren können, dass ihr Fall vor staatlichen Gerichten nach nicht-staatlichen Normen beurteilt wird. In Österreich sind solche Vereinbarungen nicht zulässig, erklärt Bea Verschraegen, Leiterin der Abteilung für Rechtsvergleichung an der Universität Wien.
Die Frage über die Zulässigkeit solcher Normen vor staatlichen Gerichten hängt sehr eng mit dem Rechtsetzungsmonopol des Staates zusammen. Würden Richter nämlich auch Regeln anwenden, die von einer anderen Stelle als dem Staat erzeugt wurden, würde der Staat damit anerkennen, dass neben ihm auch noch andere Stellen Recht setzen dürfen.
Schiedsgerichte
Sehr wohl können nicht-staatliche Normen aber vor Schiedsgerichten vereinbart werden. Das sind private Gerichte, die auf Wunsch der Parteien ohne Einmischung des Staates zusammentreten und entscheiden. Die Umsetzung von Schiedsgerichts-Entscheidungen erfolgt meist auf freiwilliger Basis der Parteien, die sich ja auch freiwillig dem Schiedsgericht unterworfen haben.
Wenn der Schiedsspruch aber vor einem staatlichen Gericht angefochten wird, stellt sich die Frage, ob das Gericht die Entscheidung des Schiedsgerichts anerkennt oder nicht. "Üblicherweise wird der Schiedsspruch anerkannt, außer er verstößt gegen die Grundwerte der heimischen Rechtsordnung", erklärt Reimann.
Wann ein solcher Verstoß vorliegt, ist allerdings schwierig zu beurteilen, weiß Rechtsanwalt Konrad Koloseus von der Kanzlei Schönherr. Staatliche Gerichte sollten daher vorsichtig sein, wenn sie sich auf die Grundwerte der Rechtsordnung berufen und eine Schiedsvereinbarung aufheben. "Es kommt dadurch ja zu einer Zurückweisung des Parteiwillens", sagt Koloseus.