Was unterscheidet Gewährleistung von Produkthaftung? | Verbraucher dürfen nicht zu hohe Sicherheitserwartung an Produkte haben. | Der Begriff der Fehlerhaftigkeit beschäftigt seit Jahren den OGH. | Wien. Sowohl Unternehmer als auch Konsumenten wissen um die wachsende Bedeutung der Produkthaftung. Vielfach ist aber nach wie vor unbekannt, worin sich die Produkthaftung von der Gewährleistung unterscheidet und worauf bei der Vermeidung von Produktfehlern zu achten ist.
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Bei der Gewährleistung haftet der Verkäufer einer Sache dafür, dass diese keinen Mangel hat. Wenn eine Sache von der zwischen Verkäufer und Käufer getroffenen Vereinbarung abweicht oder nicht die Eigenschaften hat, die man voraussetzt, ist sie mangelhaft. Der Käufer kann dann innerhalb gewisser Fristen vom Verkäufer den Austausch oder die Reparatur der Sache verlangen. Er kann aber die Ware auch mit entsprechend gemindertem Kaufpreis akzeptieren oder vom Vertrag zurücktreten.
Bei der Produkthaftung nach dem Produkthaftungsgesetz (PHG) geht es um mehr, nämlich um die nötige Sicherheit des Produkts, die man zu erwarten berechtigt ist. Wird durch einen Produktfehler ein Mensch getötet, am Körper verletzt oder an der Gesundheit geschädigt, oder wird eine andere Sache beschädigt, hat der Geschädigte einen Schadenersatzanspruch. Wenn also eine Stehleiter zusammenstürzt und kaputt geht, kann der Käufer eine Ersatzleiter verlangen (Gewährleistung). Wenn jemand von einer fehlerhaften Leiter stürzt, kann er darüber hinaus Schadenersatz für die Körperverletzung geltend machen (Produkthaftung).
Besonderheiten der Produkthaftung
Anders als nach der Gewährleistung ist es bei der Produkthaftung unwesentlich, ob zwischen dem Geschädigten und dem Hersteller der Ware ein Ver-tragsverhältnis besteht. Eine Besonderheit der Produkthaftung ist, dass auch Personen Schadenersatz verlangen können, die nur zufällig von einem Produkt geschädigt wurden. Für Konsumenten liegt ein weiterer Vorteil des PHG in der vom Nachweis eines Verschuldens unabhängigen Haftung und im Fehlen von Haftungshöchstgrenzen.
Haftungsvoraussetzung: Fehlerhafte Sicherheit
Grundvoraussetzung für die Haftung ist jedoch die Fehlerhaftigkeit des Produkts. Sowohl für Unternehmer als auch für Konsumenten stellt sich daher die entscheidende Frage: Wann ist ein Produkt fehlerhaft?
Es ist fehlerhaft, wenn die berechtigte Sicherheitserwartung enttäuscht wurde, die "man von einem Produkt erwarten kann". Eine rein tatsächliche Erwartungshaltung genügt daher nicht. Die Fehlerhaftigkeit richtet sich nach dem Zeitpunkt, zu dem das Produkt in Verkehr gebracht wird, andernfalls wäre jedes bereits am Markt befindliche Produkt gefährlich, sobald andere Produkte mit größerer Sicherheit auf den Markt kommen. Ein höherer Produktpreis kann Indiz für höhere Sicherheit sein. Umgekehrt darf aber auch ein Billigprodukt ein Mindestmaß an Qualität nicht unterschreiten. Relevant kann auch die Sicherheitserwartung einer bestimmten Region sein, in der das Produkt verwendet werden soll. Wenn bei der Erzeugung bestehende Standards, technische Normen und behördliche Genehmigungen eingehalten werden, ist dies lediglich Indiz dafür, dass ein Produkt fehlerfrei ist. Eine abschließende Antwort erfordert eine eingehende rechtliche Prüfung des Einzelfalls.
Ansicht des Obersten Gerichtshofs
Mit dem Begriff der Fehlerhaftigkeit befasst sich seit Jahren vermehrt auch der Oberste Gerichtshof (OGH). Dabei unterscheidet er drei Fehlerkategorien:
Konstruktionsfehler: Bei der Entwicklung bzw. Konstruktion des Produkts treten Fehler auf. Das heißt, bereits Pläne, Zeichnungen, Planskizzen etc. sind fehlerhaft; der Konstruktionsfehler erfasst zumeist eine ganze Produktserie.
Herstellungs- oder Produktionsfehler: Das Produkt ist zwar fehlerfrei konstruiert; beim Produktionsvorgang oder infolge Missachtung technischer Regeln treten an einzelnen Produkten einer Produktserie Fehler auf (Ausreißer).
Instruktionsfehler: Von der Planung bis zur Herstellung sind keine Fehler aufgetreten; vor möglichen Produktgefahren wurde jedoch nicht zur Genüge gewarnt, zum Beispiel fehlen Warnhinweise.
Im folgenden einige Beispiele aus der Judikatur des OGH bei Fällen des PHG:
Eine nicht kohlensäurehältige Fruchtsaftflasche aus Glas explodierte plötzlich in der Hand eines siebenjährigen Mädchens, Glassplitter führten zu einer lebensgefährlichen Schnittwunde an ihrem Hals. Der Hersteller wurde zur Zahlung von Schadenersatz verurteilt.
Ein Freizeittaucher erlitt einen Tauchunfall, weil sich über das Auslassventil seines Trockentauchanzuges plötzlich keine Luft mehr ablassen ließ. Er stieg rasch und unkontrolliert zur Wasseroberfläche auf, wodurch er sich schwer verletzte. Ursache war eine Blockade des Ventils. Der Hersteller wurde zur Zahlung von Schadenersatz verurteilt.
Eine an der Bettkante angebrachte und als höchst sicher beworbene Klemmspottleuchte fiel ins Bett und löste einen Brand aus. Der OGH verneinte die Haftung des Herstellers der Lampe.
Ein Hobbygärtner geriet in die Auswurföffnung seines Gartenhäckslers, wodurch ihm vier Finger abgetrennt wurden. Obwohl in der Bedienungsanleitung und am Produkt selbst entsprechende Warnhinweise angebracht waren, wurde der Hersteller zur Zahlung von Schadenersatz verurteilt.
Beim Öffnen von alkoholfreien "Kindersekt" wurde ein Kind durch den Stoppel am Auge verletzt. Nicht zuletzt weil auch auf dem Etikett auf den Druck in der Flasche hingewiesen wurde, wurde die Haftung des Herstellers verneint.
Bei einer Schneeballschlacht wurde die Brille eines 12-jähriges Mädchen getroffen. Durch den Splitter des Kunststoffglases wurde es an der Hornhaut des Auges verletzt. Obwohl der Hersteller das Kunststoffglas ausschließlich über einen Fachoptiker verkaufte, hätte er vor den Gefahren warnen müssen. Weil er nicht ausreichend warnte, wurde er zu Schadenersatz verurteilt.
Eigenverantwortung nicht irrelevant
Welche Sicherheit man erwarten darf, beantwortet das PHG nicht. Die OGH-Urteile stellen lediglich Anhaltspunkte für die Erzeugung sicherer Produkte dar. Die Sicherheitserwartung in ein Produkt darf jedenfalls nicht überspannt werden, denn auch Verbraucher tragen eine gewisse Eigenverantwortung für ihr Tun. Die Grenze zwischen Fehler und Eigenverantwor-tung ist allerdings nicht immer eindeutig. Unternehmer können sich nach dem PHG aber nicht darauf berufen, dass sie aus wirtschaftlichen, rechtlichen oder technischen Gründen zur Erzeugung sichererer Produkte nicht in der Lage sind.