Heute wäre er 129 Jahre alt geworden, der gelernte Schreiner V. L. Fey, wäre er nicht schon mit 65 Jahren verhungert. Und noch heute bringt uns diese tragische Figur zum Lachen.
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Was haben wir Kinder uns schiefgelacht, wenn mein Vater in den Filmprojektor den Stummfilm "Der neue Schreibtisch" einlegte, in welchem sich ein Hobby-Bastler bemüht, ein Stehpult zu einem bequemen Schreibtisch in Sitzhöhe umzubauen. Kaum hat er ein Tischbein auf die gewünschte Länge verkürzt, gerät das Ding aus dem Gleichgewicht. So sägt er munter weiter, bis er schließlich fast auf dem Boden liegt, um noch darauf schreiben zu können.
Der niesende Briefmarkensammler, der genervte Orchesterleiter, der verzweifelte Buchbinder - die Figuren des Herrn Fey, der sich als Kabarettist seit 1902 Karl Valentin nennt, sind ewige Verlierer - ebenso wie ihr Schöpfer ("Sag net Walentin zu mir, du sagst ja auch net Water zu deim Vater").
Als Kind lungenkrank, quälte ihn zeitlebens schweres Asthma. Trotz handwerklichen Geschicks blieb er nicht Tischler, sondern besuchte die Varieté-Schule in München, die er nach drei Monaten wieder verließ. Ein Auftritt in Nürnberg und eine Tournee gerieten zum Desaster. Das von ihm konstruierte "Lebende Orchestrion", das aus fast zwanzig verschiedenen Instrumenten bestand und mit dem er im Clownskostüm auftrat, zertrümmerte er bei einem Wutausbruch.
Tod des Vaters, Bankrott der ererbten Firma, ein Kind aus der Beziehung mit dem Dienstmädchen der Eltern, bittere Armut - Valentin trug sich mit Selbstmordgedanken.
Bergauf ging es erst 1908, als endlich sein komisches Talent entdeckt wurde, und 1911, als er die 19-jährige Soubrette Elisabeth Wellano kennenlernte, die als Liesl Karlstadt nicht nur seine kongeniale Bühnenpartnerin wurde. Was dann kam, ist weitgehend bekannt: Über vierhundert gemeinsame Sketches und Bühnenprogramme, Filme, Tonaufnahmen. Auch diese 25-jährige Beziehung endete tragisch mit dem Selbstmordversuch der Karlstadt. Erst nach der Nazizeit fanden die beiden wieder als Duo zusammen, blieben aber erfolglos.
1959, elf Jahre nach seinem Tod, wurde das "Valentin-Musäum" ("auch bei Regenschein zu besichtigen") mit Teilen seines Nachlasses eröffnet. Valentins posthumes Comeback fand 1961 am Wiener Akademietheater statt, wo Axel von Ambesser den "Firmling" mit Hugo Gottschlich und Inge Konradi inszenierte.
Dass der "deutsche Gruß" "Heil Kräuter" lauten müsste, wenn Hitler Kräuter geheißen hätte, ist eines der vielen subversiven Bonmots des Sprachakrobaten und "Wortzerklauberers" (Kerr). Der hagere, einsneunzig große, schlaksige Typ mit den stechenden Augen und dem ausgemergelten Gesicht zeigte hinter alltäglichen Situationen die Tragikomik menschlichen Scheiterns und sein Bemühen, diese Vergeblichkeit zu ignorieren. Was auf den ersten Blick wie ein Kalauer wirkt, entpuppt sich als Dekuvrierung der eigenen Unfähigkeit zu kommunizieren: "I waaß eh, wos i maan!"
Auf diese Weise gelingt es ihm, die Prototypen des modernen Wahnsinns zu unsterblichen Archetypen umzugießen: Den Radfahrer Wrtlprmft, den Wanninger, den Notenwart. Mit seinem skurrilen, dialektischen Humor beeinflusst er eine ganze Schriftsteller-Generation - von Brecht bis Samuel Beckett -, nimmt den Dadaismus auf und das absurde Theater vorweg. Alfred Kerr nennt ihn einen "bayrischen Nestroy". Hanna Schygulla schreibt: "Nichts ist dir selbstverständlich. Alles bringst du in Bewegung, bis es aufbricht und entgleist und dann endlich ein zweiter oder dritter Hintersinn zu Tage kommt."
Markus Kauffmann, seit 1984 Wiener in Berlin, macht sich Gedanken über Deutschland.