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Gewerkschaften machen gegen zwölf Millionen Kurzzeit-Verträge mobil.
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Paris. Es ist der letzte Anlauf. Frankreichs Arbeitgeber und Gewerkschaften haben sich am Donnerstag an den Verhandlungstisch gesetzt, um in Sachen Arbeitsmarktreform eine Einigung zu erzielen. Doch die Chancen stehen nicht gut. Nach monatelangen erfolglosen Gesprächen wäre ein Resultat ein "Wunder", heißt es bei der streitbaren Traditions-Gewerkschaft "Force Ouvrière". Einlenken steht hier nicht auf der Tagesordnung.
Mehr als drei Millionen Menschen sind in Frankreich ohne Job, das sind 10 Prozent der Bevölkerung. Tendenz steigend. Und seit 19 Monaten wird das Heer der Arbeitslosen kontinuierlich größer. Die Gründe dafür liegen in der miesen Konjunktur und im Arbeitsrecht, das einen Teil der französischen Arbeiter und Angestellten nur schwer kündbar macht. Aus Angst, die Beschäftigten in Zeiten schlechter Auftragslage nicht mehr loszuwerden, vergeben die Unternehmen gar keine oder Kurzzeit-Verträge ohne soziale Absicherung. Soll jemand gekündigt werden, komme das einem "juristischen Hürdenlauf gleich", sagen Kritiker des bestehenden Systems. Präsident François Hollande will einen flexibleren Arbeitsmarkt und dadurch zusätzliche Arbeit schaffen. Auf der anderen Seite versucht er, dem Prekariat zu besseren Bedingungen zu verhelfen.
Tatsache ist, dass sich seit dem Jahr 2000 die Zahl von Verträgen mit einer Dauer von weniger als einem Monat verdoppelt hat, mittlerweile gibt es zwölf Millionen derartiger Kontrakte, wie der Frankreich-Experte der Universität Stuttgart, Henrik Uterwedde, gegenüber der "Wiener Zeitung" bestätigt. An die Reform des Arbeitsrechts haben sich freilich schon viele französische Politiker gemacht - und sich daran die Zähne ausgebissen. Ein Großteil der Bestimmungen ist per Gesetz geregelt und nicht in Kollektivverträgen festgelegt, was Veränderungen erschwert.
"Historischer Kompromiss"
Der Stillstand am Verhandlungstisch bringt Hollande politisch in die Bredouille, immer dringlicher werden seine Appelle, sich endlich auf einen "historischen Kompromiss" zu verständigen. 2013 hat er in seiner Neujahrsrede zum Jahr der "großen Schlacht für Arbeit" erklärt. Dem Sozialisten muss der große Wurf gelingen, und das schnell: "Wenn er jetzt scheitert, hat er für den Rest seiner Amtszeit jede Glaubwürdigkeit verspielt", so Uterwedde. "Dann endet er als Bettvorleger."
Hollande drängt deshalb die Sozialpartner, noch diese Woche eine Einigung zu erreichen. Er will für seine Reform eine breite Basis, ein "Bündnis für Arbeit", ähnlich wie der deutsche Sozialdemokrat Gerhard Schröder in den 90ern. Gelingt das nicht, wird Hollande selbst bis Ende Februar einen Reformplan vorlegen. Dieser Weg ist riskant, könnte er doch die mächtigen Arbeitnehmerverbände auf den Plan rufen. Diese haben in der Vergangenheit immer wieder zu Protesten aufgerufen und Hunderttausende gegen eine Aufweichung des Arbeitsrechts auf die Straßen gebracht. Außerdem besteht aus Sicht Hollandes die Gefahr, dass die Gewerkschaften über verbündete linke Abgeordnete dafür sorgen, dass die Reform das Hohe Haus in sehr verwässerter Form passiert.
Eine direkte Konfrontation will Hollande nicht zuletzt deshalb vermeiden, weil Frankreichs Gewerkschaften als die schlagkräftigsten in Europa gelten. Als Regierungschef Dominique de Villepin 2006 im Alleingang eine zweijährige Probezeit für junge Angestellte durchsetzen wollte, probten eine Million Menschen den Aufstand. Es gab Krawalle an der Sorbonne, Studenten und Polizei gingen aufeinander los, Villepin musste sein Vorhaben wie eine heiße Kartoffel fallen lassen.
"Flexi-Security"
Für Hollande, der Villepins brachialen Ansatz vermeidet, "stehen die Chancen besser", schätzt Uterwedde. "Generell sind sich Arbeitgeber und -nehmer im Klaren, dass es so nicht weitergehen kann. Der Präsident kann darauf hoffen, dass es zumindest mit einem Teil der Sozialpartner zu einer Einigung kommt. Das wäre schon eine gute Basis." Allerdings sei das Thema trotzdem extrem heikel, "Hollande muss wie auf Eiern gehen", so Uterwedde.
Tatsächlich wird allseits Kompromissbereitschaft demonstriert. Die Arbeitgeber sind zu Zugeständnissen bereit, nicht reden will man über eine Beschränkung von Kurzzeit-Verträgen. "Flexi-Security" ist das entscheidende Schlagwort, das Laurence Parisot, Chef der Arbeitgeber-Vereinigung Medef, mehr als einmal in den Mund nimmt.
Der Deal lautet: Die Arbeitnehmer verzichten zumindest teilweise auf ihren umfassenden Kündigungsschutz, die Arbeitgeber garantieren im Gegenzug zusätzliche Jobsicherheit. Damit wollen die Unternehmer - so sagen sie - die faktische Zweiteilung des Arbeitsmarktes in einen stark gesicherten und einen nahezu ungeregelten Bereich aufheben. Auch will man den Gewerkschaftern im Betrieb mehr Mitspracherecht geben und Angestellten kleine Vergünstigungen zugänglich machen.
In den Reihen der verschiedenen Gewerkschaften ist man bereit, Vereinbarungen auf betrieblicher Ebene zuzustimmen, mit denen bei schlechter Auftragslage etwa Kurzarbeit angeordnet werden kann. Auch sperrt man sich nicht prinzipiell gegen Langzeit-Arbeitsverträge, bei denen der Arbeitnehmerschutz nicht ganz so umfassend ist wie bisher. Nicht Abrücken will man hier von der Einführung einer Art Strafsteuer auf Kurzzeit-Arbeitsverträge. Das kommt aber für die Arbeitnehmer nicht infrage. Die Wirtschaftslage zwingt jedenfalls zu schnellem Handeln. Im letzten Quartal ist das Bruttoinlandsprodukt erstmals um 0,1 Prozent gesunken.