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Wenn Islamophobie krankhaft wird

Von Stefan Beig

Wissen
Vitale Religiosität junger Muslime kann narzisstische Kränkung auslösen, meint Bonelli. Foto: Stanislav Jenis

"Angst wird krankhaft, wenn sie irrational ist." | Islamophobie hat zwei Wurzeln: Xenophobie und Religionsfeindlichkeit. | "Wiener Zeitung": Neuerdings befassen Sie sich mit Islamophobie. Ist das ein medizinischer Begriff? | Raphael Bonelli: Islamophobie nicht, Phobie schon. Sie meint die neurotische Angst vor etwas Konkretem.


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Schlangenphobie, Höhenangst oder Sozialphobie gehören dazu. Xenophobie fehlt in internationalen Klassifikationen von Krankheiten, hat aber einen psychologischen Hintergrund. Auch sie bezeichnet die Angst, das Unwohlsein durch einen äußeren Stimulus, den Fremden, durch den man sich persönlich bedroht fühlt.

Aber Xenophobie ist doch eher ein politischer Begriff?

Man kann den Xenophobie-Vorwurf auch politisch missbrauchen. Unser Institut macht am 18. Juni dazu eine Tagung. Wir sprechen dort von der "sogenannten Islamophobie", um deutlich zu machen, dass wir den Begriff nicht politisch meinen, sondern psychologisch. Ich bin kein Politiker. Ich denke nicht politisch und möchte nicht so wahrgenommen werden, weil das nicht meine Kompetenz ist.

Sind alle Formen von Islamophobie und Xenophobie krankhaft?

Nicht unbedingt. Krankhaft sind sie, wenn die Angst komplett irrational wird, wenn sie aus dem Gleichgewicht kommt und nichts mehr mit dem Realen zu tun hat. Je weniger man sich mit der eigenen Angst auseinandersetzt und ihre Ursachen versteht, desto mehr führt sie zu Aggression: Weil man sich der eigenen Motive nicht bewusst ist, kann man diese Angst so schwer kontrollieren und weiß nicht, wie man die Aggression in den Griff bekommt.

Was sind die psychologischen Wurzeln der Islamophobie?

Nach meiner Beobachtung ist die Islamophobie einerseits Teil der Xenophobie, andererseits Teil einer generellen Religionsfeindlichkeit. Mal überwiegt das Eine, mal das Andere. Konservative Gemüter tendieren eher zur Xenophobie.

Warum?

Weil sie an der Welt, in der sie leben, festhalten und jede Veränderung als bedrohlich erleben. Es ist ein Faktum, dass sich Wien verändert hat und weiter verändern wird. Aber Wien war immer schon in Veränderung. Wer das als bedrohlich erlebt, bei dem führt das zu Aggression und Verbitterung. Über die vielen Kinder mit Migrationshintergrund kann er sich nicht freuen. Nicht eingestandene rassistische Motive spielen hier auch eine Rolle. Das Wesentliche bei der Phobie ist auch diese persönliche Betroffenheit, das Ichhafte: "Ich habe Angst, dass die Fremden mir die Arbeitsplätze wegnehmen." Charakteristisch ist weiters die Verbitterung darüber, dass das geliebte Heimatland aus dieser Sicht untergeht. Und bei Verbitterung sieht man sich selber meist als Opfer.

Islamkritiker verwenden auch Argumente. Sind die irrational?

Sie stützen sich teils auf reale Gegebenheiten, aber eigentlich geht es nicht um Argumente, sondern um die Rechtfertigung ihrer eigenen Haltung. Es ist irrational, nur deswegen, weil Christen in Ägypten ermordet werden, in jedem Muslim in Österreich eine Bedrohung zu sehen. Ebenso haben auch Christen Muslime erschlagen. Natürlich gibt es Herausforderungen für das Zusammenleben, aber hier bauscht man Gefahren auf, um im Islam nur mehr die Bedrohung zu sehen.

Man trifft auf solche Argumente auch unter Katholiken.

Es gibt Katholiken, die darauf pochen, dass sie katholisch sind, und Sprüche klopfen, die klar dem Zweiten Vatikanischen Konzil und den Aussagen von Papst Johannes Paul II. und Benedikt XVI. widersprechen. Es ist unglaublich, mit welchem Fanatismus sie die katholische Lehre vergewaltigen, um ihre eigene Islamophobie zu rechtfertigen und sich ihre politischen Motive nicht einzugestehen. Auch das ist irrational. Gerade die letzten beiden Päpste haben unmissverständlich gegenüber dem Islam das Gemeinsame über das Trennende gestellt und Toleranz gefordert.

Religionsfeindlichkeit ist für Sie die zweite Wurzel der Islamophobie.

Für jemanden, der vom Ende der Religionen träumt, wird es bedrohlich, wenn ein junger Mensch fünf Mal am Tag betet. Gerade der junge Islam in Europa zeigt Begabung, Intellekt und Zukunft. Der antireligiöse Effekt entsteht aus der narzisstischen Kränkung des Rationalismus darüber, dass die Religion in der Postmoderne nicht untergegangen ist. Man fühlt sich dann von jedem bedroht, der an etwa Höheres glaubt. Wenn diese Unterwerfung zu einer Ordnung im Leben führt, verstärkt das noch die Bedrohlichkeit, weil es bedeutet, dass Religion mehr ist als nur ein sentimentales Gefühl. Besonders irritierend ist es, dass junge Menschen freiwillig, von sich aus religiös sind, vor allem für Leute, die darin nur eine Unterdrückung sehen.

Auch Sigmund Freud hat Religion als kollektive Zwangsneurose bezeichnet, die durch die Psychoanalyse überflüssig geworden ist.

Wenn Religion dem Menschen gemäß ist, führt die Unterwerfung zu einer Befreiung, weil sie etwa von kurzfristiger Triebbefriedigung wegführt und langfristiges Glück ermöglicht. Religion ist immer gesammelte Weisheit der Lebensgestaltung, in der sich die Lebenserfahrung von hunderten Generationen niederschlägt. Mittlerweile gibt es wissenschaftliche Evidenz darüber, dass Religiosität dem Menschen gut tut.

Wie entsteht dann Extremismus?

Fehlformen von Religiosität bauen eine Ideologie auf - als Religionsersatz. Ich spreche von "extrinsischer" Religiosität. Sie sucht über Religiosität den persönlichen Vorteil und will sagen: "Ich bin besser als die Anderen." Das ist Religion im Dienste der Ich-Erhöhung. Da ist es eine narzisstische Kränkung, wenn sich das idealisierte Selbst vom realen Selbst unterscheidet. Man sucht dafür die Schuld bei den Anderen. Extremisten missbrauchen die Religion zur Selbsterhöhung.

www.rpp2011.org