Von rund 30.000 Polizeibeamten in Österreich haben sich innerhalb von zwei Monaten fünf das Leben genommen. Zuletzt schoss sich ein erst 23-jähriger Inspektor am 3. Februar in den Kopf. Medien und Polizeispitze rätseln und analysieren. Waren private Probleme schuld? Beruf? Schulden? Alles zusammen? Die Untersuchungen dazu laufen auf Hochtouren.
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Klar, dass auch die jüngsten Intrigen und Suspendierungen im Wiener Polizei-Führungsgremium als mögliche Hintergründe bemüht werden. Doch wer bringt sich um, weil es seinen Vorgesetzten erwischt?
Wer den Polizeialltag kennt, weiß, dass es weit handfestere Gründe gibt - etwa in den vergangenen zehn Jahren grundlegend veränderte Berufsbild: Haben es die Beamten doch längst nicht mehr vorwiegend mit Hendldieben zu tun, sondern mit straff organisierten Banden, die nicht nur bei ihren Geschäften, sondern auch bei allfälligen Kontrollen oder Verhaftungen mit ausgesuchter Brutalität vorgehen.
So werden allein in Wien pro Jahr mehr als 400 Polizisten im Dienst verletzt, zwischen 20 und 50 davon schwer. Offene Schienbeinbrüche oder Kieferzertrümmerungen sind dabei noch relativ harmlos: Speziell Drogenhändler mit möglichen Hepatitis C, HIV- oder anderen Infektionen attackieren Polizisten nämlich regelmäßig und gezielt durch Beißen, Kratzen und/oder Bespucken.
"Sie müssen sich vorstellen, der Kollege hat Familie und Kinder und muss oft Wochen oder Monate zittern, bis er halbwegs sicher weiß, ob er angesteckt wurde oder nicht - das macht einen fertig", schildert ein Offizier die Praxis.
Im gleichen Atemzug muss sich oft der selbe Beamte gegenüber dem selben Täter wegen angeblicher Misshandlungen bei der Verhaftung rechtfertigen: "Speziell im Drogenbereich wissen die Täter aus gewissen Quellen haargenau, wie sie uns schikanieren können - mittlerweile müssen wir uns fast bei jeder Verhaftung wegen angeblicher Übergriffe verantworten", verrät ein Suchtgiftfahnder.
Es gebe Cliquen, die per Mobiltelefon so weit wie möglich jede Amtshandlung fotografieren und die Bilder dann - garniert mit Übergriffs-Vorwürfen - an Menschenrechtsorganisationen oder die Staatsanwaltschaft weiterleiten. Damit legen sie das gesamte Exekutiv-System zeitweise lahm, "weil der entstehende Papierkrieg enorm ist", so ein Kriminalist. Dazu kommt das Paradoxon, als Polizist ständig mit einem Fuß im Kriminal zu stehen: "Jeder von uns findet sich regelmäßig vor der internen Untersuchungskommission oder sogar in der Zeitung - nur weil er seine Arbeit tut", so der Beamte. "Auch wenn sich die Vorwürfe in Luft auflösen - es belastet einen enorm."
Mehr Personal, lautet eine Antwort auf diese Bedrohung - auch wenn sie nicht zum Sparkurs der neuen Regierung passt. Andererseits gehört zu einem geänderten Berufsbild eine entsprechende Ausbildung. Und zu guter Letzt auch ein starkes Nervensystem jedes einzelnen Beamten.