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"Wenn man dazugehören will, muss es wehtun"

Von WZ-Korrespondentin Christine Zeiner

Politik

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Berlin. Während die deutsche Armee verzweifelt nach Personal sucht, wurde vor kurzem ein neuer Skandal bekannt: In einem ihrer Ausbildungszentren - der Staufer-Kaserne in Süddeutschland - misshandelten Soldaten Kameraden, machten davon Fotos und filmten die Gewalttaten.

Das ist bemerkenswert, denn immer wieder werden Gewalt-Exzesse in der Bundeswehr bekannt -vor sieben Jahren etwa die Aufnahmerituale der Gebirgsjäger in Mittenwald, Bayern. Soldaten quälten Kameraden und zwangen sie, rohe Schweineleber zu essen und bis zum Erbrechen Alkohol zu trinken. Vor sechs Jahren berichtete der Wehrbeauftragte von den Zuständen auf der "Gorch Fock", dem Schulschiff der Marine: Ein Offiziersanwärter musste demnach das Erbrochene der Offiziere von Deck wegputzen, ein Soldat sprach über sexuelle Nötigung, andere schilderten Besäufnisse auch der Vorgesetzten.

Dem Berliner Psychologen Jörg Otto fällt dazu das Sprichwort "Lehrjahre sind keine Herrenjahre", ein, "man leidet, um später dazuzugehören", so Otto im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". "Übergriffe, Grenzverletzungen, Gewalt passieren meines Erachtens dort besonders leicht, wo es starre Hierarchien gibt, räumliche Enge, ein abgeschlossenes System", so Otto. "Gruppen neigen mitunter dazu, den Bezug zur Realität zu verlieren und Entscheidungen zu treffen, die realitätsferner oder - salopp gesagt - dümmer sind als Entscheidungen Einzelner."

"In engem Kontakt zu anderen wird man beeinflussbarer, man vernachlässigt mitunter das eigene Denken oder ignoriert warnende Gefühle, auf die man vielleicht gehört hätte, wenn man allein gewesen wäre", sagt Psychologe Otto. "Eine Gruppe wird zu einer Art eigenem Organismus. Man könnte zum Beispiel an den Fußballfan denken, der allein ganz lieb ist und dann zusammen mit anderen zum Teil eines pöbelnden Mobs mutiert."

"Antisoziale Persönlichkeitsstörung"

Neben dem Gruppendenken gibt es eine weitere mögliche Ursache für Gewalttaten: Die psychiatrische Diagnostik kennt einen bestimmten Persönlichkeitstyp, der als "antisoziale Persönlichkeitsstörung" geführt wird. Eine solche Persönlichkeitsstörung beginnt in der Kindheit oder in der frühen Jugend und dauert bis ins Erwachsenenalter an.

Manche Menschen weisen aber auch eine dissoziale Seite auf - ohne aber eine voll ausgeprägte Persönlichkeitsstörung zu haben. "Es ist möglich, dass Menschen mit einer solchen Seite in einer extremen Situation, einer belastenden Lage oder weil sie viel Macht haben grenzüberschreitendes, sadistisches Verhalten zeigen, das sie sonst nicht zeigen würden", erläutert Otto.

Im Bundeswehr-Skandal ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Freiheitsberaubung, der gefährlichen Körperverletzung, Nötigung und wegen Gewaltdarstellungen.