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Wenn man lebt, um zu arbeiten

Von Stephan Hofer

Wirtschaft

Ein Drittel der Kreativen arbeitet im Prekariat. | Konkurrenzdruck und Austauschbarkeit oft ein Problem.


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Wien. Bei einem gemütlichen Kaffee in der eigenen Altbauwohnung sitzen und am Laptop kreative Projekte entwickeln.

So oder so ähnlich sieht das romantische Bild der neuen Selbständigen in der Kreativwirtschaft aus. Die Realität ist allerdings oft ernüchternd: „Wenn man Geld verdienen will, sollte man nicht in die Architektur gehen”, sagt Ines P., Jungarchitektin und Freelancerin in Wien. Bei vielen Selbständigen und Kleinst-Unternehmern in der Kreativbranche besteht laut Arbeitsforschern oft die Gefahr von Selbstausbeutung und Burn-out. Aber nicht nur äußere Faktoren, sondern auch eigene Ansprüche lassen selbständige Kreative scheitern.

„Etwa ein Drittel der Beschäftigten in der Kreativwirtschaft befinden sich in prekären Arbeitsverhältnissen”, erzählt Jörg Flecker, wissenschaftlicher Leiter der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt (Forba). Die anderen zwei Drittel setzen sich laut einer Studie des Arbeitsforschungsinstituts aus Etablierten und dem Mittelfeld dazwischen zusammen. Der Konkurrenzdruck ist hoch, denn viele gut ausgebildete Junge wollen in die kreativen Branchen. „Die Kreativwirtschaft ist natürlich hip und modern, da möchten viele rein”, sagt Flecker.

Unter dem Wert verkauft

Darüber hinaus wissen viele neue Selbständige wenig über die Marktsituation, sagt Gertraud Leimüller, Vorsitzende der Creativ Wirtschaft Austria (CWA) und Geschäftsführerin der Winnovation Consulting GmbH. „Viele, die neu einsteigen, verkaufen ihre Leistung unter dem Wert, weil sie die Marktpreise nicht kennen und der wirtschaftliche Aspekt gerade Neueinsteigern oft nicht so wichtig ist. Das wirkt sich auf alle aus”, so Leimüller.

In manchen Branchen haben Einsteiger allerdings gar keine andere Wahl: „Es gibt eigentlich keinen Verhandlungsspielraum”, erzählt Ines P.: „Dir wird gesagt, was du kriegst und wenn du nicht annimmst, dann gibt es genug andere die den Job für das Geld machen.” Diese Austauschbarkeit gerade in den ersten Jahren bestätigen auch die Experten. „Egal ob man sich selbst eher als Künstler oder als Geschäftsmann versteht, man braucht Biss”, sagt Leimüller. Eine gewisse Leidensfähigkeit sei gerade am Anfang nötig.

Diese Unsicherheit nehmen viele Kreative bereitwillig in Kauf, um Freiräume zu haben, die eine Anstellung nicht bieten kann. Auch individuelle Lebensentwürfe können in der Selbständigkeit oft besser verwirklicht werden. „Will man als Frau Familie mit Berufstätigkeit verbinden, ist die Selbständigkeit häufig der einzige Weg”, erzählt Leimüller.

Die Grenzen zwischen selbständiger und angestellter Arbeit verschwimmen aber gerade in der Kreativwirtschaft, wie Jörg Flecker berichtet. Es gebe viele Festangestellte, die unter hohem Verantwortungsdruck stehen. „Die Unsicherheit der Selbständigen frisst sich so auch in die Angestelltenverhältnisse.”

Scheinselbständig

Dem gegenüber stehen Freelancer, die zwar befristete Arbeitsverträge, aber die Pflichten von Angestellten haben. Widerstand fällt trotzdem schwer, wie Ines P. weiß: „Das gerichtliche Durchsetzen von Ansprüchen ist ein langwieriger Prozess”, sagt sie. Zudem sei die Architekturbranche recht klein, jeder kenne jeden. „Wenn das weitererzählt wird, dann engagiert mich kein Büro mehr.”

Kooperation ist wichtig

Die Experten geben Neueinsteigern einige wichtige Ratschläge: „Selbständige sollten die Kooperation untereinander suchen”, rät Gertraud Leimüller aus Erfahrung, „das schafft Netzwerke und kann über Durststrecken hinweg helfen.” Der Austausch bringt außerdem Informationen über Markt und Preise. Möglichkeiten und Informationen zur Vernetzung bieten neben der Internetseite der CWA (www.creativwirtschaft.at) auch die neu gestartete Plattform www.kollwi.at der Forba.

Sehr wichtig für den Erfolg ist außerdem eine realistische wirtschaftliche Betrachtung der eigenen Arbeit. „Gerade bei jungen Kreativen fehlen oft wirtschaftliche Fachkenntnisse”, sagt Flecker. Für Leimüller ist auch eine klare räumliche Trennung von Arbeit und Zuhause ein Muss: „Die räumliche Distanz erleichtert das geistige Abschalten. Die Gefahr einer Überarbeitung ist dadurch geringer.”

Auch Ines P. nimmt ihre Arbeit nicht mehr mit nach Hause: „Die kreative Selbstverwirklichung ist mir nach wie vor wichtig, aber ich möchte nicht mehr nur leben, um zu arbeiten.”

Viele Selbständige in der Kreativwirtschaft überarbeiten sich häufig und sind trotzdem unterbezahlt