Im März 1938 wurden Juden und Andersdenkende von der Universität Wien vertrieben. Die Aufarbeitung trägt Früchte.
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Während am Tag des "Anschlusses" für viele NS-Gegner in Österreich die Handschellen klickten, klickten an der Universität Wien zunächst die Türschlösser. Vom 12. März bis 25. April 1938 war das Haus am Ring "geschlossen". "In diesen sechs Wochen erfolgte von oben und unten, von innen und außen der Umbau der Universität nach dem Führerprinzip und der nationalsozialistischen Rassenideologie", erzählt der Wiener Zeitgeschichtler Herbert Posch, Experte für universitäre Erinnerungskultur, im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Nennenswerten Widerstand? Gab es keinen. "Nicht nur standen viele Lehrende dem Nationalsozialismus nahe oder passten sich der neuen Situation an, auch setzte umgehend eine massive Verfolgungs- und Verhaftungswelle aller politischen Gegner und Juden ein", sagt der Historiker.
Bereits am 22. April 1938 verfügte das Unterrichtsministerium die Enthebung eines Großteils der Universitätslehrenden: Insgesamt wurden 322 Lehrende - 236 aus "rassischen" und 86 aus "politischen" Gründen - von der Universität Wien vertrieben. Dieses Los ereilte auch alle jüdischen Studierenden. Ihnen wurde bereits am Tag der Wiedereröffnung der Universität der Zutritt untersagt. Dies galt auch für die Bibliothek, lediglich zwecks Rückgabe entlehnter Bücher durften sich Studierende ein letztes Mal in der Alma Mater Rudolphina blicken lassen. Allein die medizinische Fakultät verlor auf einen Schlag 23 Prozent ihrer Hörer, 13 Prozent waren es an der philosophischen sowie 8 an der juridischen Fakultät.
NS-Minister in der Bibliothek
Erlassen und exekutiert wurden sämtliche Maßnahmen unter Federführung des Unterrichtsministers und Prähistorikers der Universität Wien, Oswald Menghin. Unterstützt wurde der Kurzzeit-Minister unter Anschluss-Kanzler Arthur Seyß-Inquart vom Reichserziehungsministerium in Berlin, das an einer raschen Vertreibung interessiert war. Man wollte, sagt Posch, weniger Aufsehen erregen, als dies 1933 im Deutschen Reich der Fall gewesen war, wo sich die Enthebungen über mehrere Jahre erstreckten. NS-Minister Menghin wurde für seine Taten nie belangt. 1948 flüchtete er nach Argentinien und lehrte bis zu seinem Tod 1973 unbehelligt an der La Plata-Universität.
Auch an der Universität Wien fiel das "Wirken" des Ex-Professors nach 1945 der Vergessenheit anheim, und so blieb auch ein Ölgemälde Menghins in der Fachbibliothek für Archäologie und Numismatik unkommentiert an seinem Platz - bis ein kürzlich von einem aufmerksamen Beobachter am Bild angebrachtes kritisches Post-it für Aufregung sorgte. Herbert Posch nahm den Ball sofort auf. "Das hat zu einer umfassenden Aufarbeitungsinitiative unter den Studierenden geführt", erzählt der Historiker. "Beim Take-off-Meeting waren fast 40 Leute." Tatsächlich ist dies nicht das einzige Projekt dieser Art für Posch. Auch in anderen Fachrichtungen wie der Medizin, Zoologie oder Geschichte wurde die NS-Zeit beleuchtet. Ein besonders gelungenes Projekt wurde erst im Mai des Vorjahres an der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät umgesetzt. Hier erinnert das Denkmal "Wenn Namen leuchten" an vertriebene Lehrende und Studierende der Geschichte. Die Biografien der Opfer wurden in einer von Herbert Posch und Martina Fuchs herausgegebenen Publikation akribisch aufgearbeitet.
Vom Reagieren ins Agieren
Für Posch ist dieses Denkmal ein Glied in einer ganzen Kette gelungener Aufarbeitungsprojekte, die in den vergangenen Jahren umgesetzt wurden - angefangen bei der 2006 erfolgten "Umbettung" des 1923 von Deutschnationalen in der Universitätsaula aufgestellten "Siegfriedkopfes" in den Arkadenhof bis hin zu einer für den 1. Juni im Haus geplanten Ausstellung über Widerstand und Studierende. "Die Universität will nicht mehr nur reagieren", fasst Posch zusammen. Diesem Ziel ist die Alma Mater zuletzt gewiss näher gekommen. Ganz ohne Post-its geht es aber offenbar noch nicht, wie der Fall Menghin zeigt.