Die Regierung will das Pensionsantrittsalter erhöhen, doch das könnte zulasten der Arbeitslosenzahlen gehen.
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Wien. Ein Krankenstand kann der Anfang sein, vielleicht nicht der erste, aber eben der dritte, vierte oder fünfte, wenn sie alle innerhalb von ein paar Monaten auftreten. Es kann der Anfang vom Ende des Erwerbslebens sein, der Anfang vom Nicht-mehr-können. Im Laufe der ersten Dekade dieses Jahrhunderts hat die Zahl jener Personen in Österreich, die eine Invaliditätspension bezogen haben, um etwa 50 Prozent zugenommen. Erst ab 2011 war ein Rückgang zu verzeichnen, der sich auch in den Folgejahren fortgeschrieben hat.
Es ist davon auszugehen, dass diese Tendenz in diesem Jahr nicht nur eine Fortsetzung findet, sondern der Rückgang besonders stark ausfallen wird. Und nichts anderes will auch die Regierung, die das faktische Pensionsantrittsalter bis zum Ende der Legislaturperiode 2018 auf 60,1 Jahre erhöhen will. Derzeit liegt es bei 58,4 Jahren. Rechnet man die Invaliditätspensionisten heraus, die aus Krankheitsgründen nicht mehr arbeitsfähig sind, würde man in Österreich schon jenseits der 60 Jahre liegen.
"Das ist das wahre Problem", sagt Sozialminister Rudolf Hundstorfer, dessen Hoffnung auf einen signifikanten Anstieg des tatsächlichen Pensionsantrittsalters vor allem in einer gesetzlichen Änderung der Invaliditätspension liegt. Diese Neuerung trat mit 1. Jänner 2014 in Kraft, war aber bereits von der alten Regierung beschlossen worden.
Keine befristete I-Pension
Ab heuer gibt es keine befristete Invaliditätspension mehr für Personen, die am Stichtag 1. Jänner unter 50 Jahre alt waren. Gemäß einer ähnlichen Regelung in Deutschland gibt es im Fall einer vorübergehenden Invalidität, also etwa auch einer schweren Krankheit, eine Behandlung sowie Rehabilitationsgeld. Im Vordergrund steht der Versuch, diese Menschen wieder in den Arbeitsprozess zu integrieren.
Wer nur den erlernten Beruf nicht mehr ausüben kann, bekommt eine Umschulung in einen vergleichbaren Beruf sowie Umschulungsgeld, aber ebenfalls keine Invaliditätspension mehr. Auch wenn die neuen Regelungen für die jetzt über 50-Jährigen nicht gelten, sind statistische Auswirkungen zu erwarten. Doch welche? Ein erschwerter Zugang zur Invaliditätspension macht Kranke nicht gesund.
"Es gibt zwei mögliche Szenarien", sagt Irene Kloimüller. Sie ist Medizinerin und Unternehmensberaterin und Expertin für altersgerechtes Arbeiten. Beim "fit2work"-Programm des Sozialministeriums ist Kloimüller Projektleiterin für die Betriebe.
Druck wird steigen
Das erste Szenario ist, dass es tatsächlich über Rehabilitationsmaßnahmen gelingt, den Ausstieg aus dem Beruf zu verhindern. "Das andere Szenario ist, dass die Arbeitslosigkeit ansteigt, der Druck auf die Menschen wird kurzfristig steigen, wenn noch enger begutachtet wird. Und die Alternativtätigkeiten gibt es noch nicht", sagt Kloimüller.
Sie wähnt Österreich in Sachen Vorsorge vor einer späteren Invalidität in einem noch frühen Entwicklungsstadium, zwar auf dem richtigen Weg, "aber wir stehen schon noch sehr am Anfang". Das "fit2work"-Projekt, das auf dem Arbeit-und-Gesundheit-Gesetz basiert, läuft erst seit Mitte 2012. "Es braucht sicher fünf Jahre, bis das greift", sagt Kloimüller.
Das bedeutet, dass es sich in dieser Legislaturperiode kaum ausgehen wird. Nicht unwahrscheinlich also, dass sich eher statistische Verschiebungen von Invaliditätspension hin zu Arbeitslosengeld beziehungsweise Mindestsicherung ergeben werden. Bereits jetzt wird nur ein Drittel der Anträge auf eine Invaliditätspension genehmigt.
Aus Untersuchungen weiß man, dass erste Anzeichen für eine spätere Invalidität, aus welchen Gründen auch immer, schon sieben Jahre davor sichtbar sind. "Erste Warnsignale sind Erschöpfungszustände oder wiederkehrende Krankenstände", sagt Kloimüller. Wenn jemand aus einem Burnout zurückkehrt, sich aber am Arbeitsplatz nichts geändert hat, ist das nächste Burnout oft nicht weit entfernt.
Die Psyche leidet
Psychische Erkrankungen haben in den vergangenen Jahren bei Invalidität stark zugenommen, allerdings schränkt Kloimüller ein, dass früher die Befundung eher auf körperliche Defizite bedacht war, auch wenn diese psychosomatisch bedingt waren. Laut dem jüngsten Bericht der Pensionskommission erfolgte im Jahr 2012 ein Viertel aller männlichen Neuzugänge bei der Invaliditätspension aufgrund von psychischen Erkrankungen, bei den Frauen lag dieser Anteil sogar bei 42 Prozent, wobei die Tendenz jeweils ansteigt.
Expertin Kloimüller nennt vor allem Berufe im Gesundheitsbereich, aber auch im öffentlichen Dienst als gefährdete Tätigkeiten. Da wie dort ist der Druck stark gestiegen, in der öffentlichen Verwaltung gibt es seit geraumer Zeit einen Aufnahmestopp, teilweise sehr einseitige Tätigkeiten, ein starres System mit wenigen Handlungsspielräumen, und gerade im öffentlichen Dienst ist die Wertschätzung auch häufig gering. Eine derartige Gemengelage an negativen Einflüssen sei eine "klassische Burnout-Falle", sagt Kloimüller.
Wenn ein Pfleger aufgrund eines kaputten Rückens Patienten nicht mehr heben kann, wenn eine Verkäuferin keinen Kundenkontakt mehr aushält, ist es in der Regel schon zu spät und das Nicht-mehr-können erreicht. Der gelegentlich von Boulevardmedien einer empörten Öffentlichkeit vorgeführte Invaliditätspensionist, der fröhlich sportelt, ist jedenfalls eine Ausnahme. Laut Kloimüller liegt die Lebenserwartung von Beziehern einer I-Pension 13 Jahre unter jener einer normalen Alterspension. "Aus dieser schlechten Prognose lässt sich schließen, dass diese Gruppe große Probleme hat."
Ausbildung ist Knackpunkt
Das Thema Sabbatical kommt in Österreich erst langsam in die Gänge. Es gibt zwar eine Karenzzeit aus Gründen der Fortbildung und zur Kinderbetreuung, doch einige Betriebe haben mittlerweile auch erkannt, dass eine klassische Auszeit zwischendurch auf lange Sicht Vorteile haben kann. Da sich manche Tätigkeiten nur schwer ein ganzes Arbeitsleben durchhalten lassen, müssen einerseits die Unternehmen für Alternativen sorgen. In Finnland müssen Betriebe bei Auftreten einer Invalidität hohe Einzahlungen ins Sozialsystem leisten. "Die große Herausforderung sind Klein- und Kleinstbetriebe, da haben wir nicht wirklich eine Antwort", sagt Kloimüller.
Ein Schlüssel zu einem möglichst langen und gesunden Arbeitsleben liegt jedenfalls ganz am Anfang, bei der Ausbildung. "Die ist immer ein Knackpunkt", sagt Kloimüller. "Je einseitiger sie ist, desto schwieriger wird das Umsteigen." Doch gerade bei einseitigen Arbeiten ist ein Umstieg oft notwendig. "Gewisse Tätigkeiten kann man halt nur zehn Jahre machen." Und dann? Will die Regierung das Pensionsantrittsalter heben und die Arbeitslosenzahlen senken, wird auch sie sich über diese Frage Gedanken machen müssen.