Deutschland hat wieder einmal Glück gehabt, oder war es gar eine selbsterfüllende Prophezeiung? | Die Deutschen sind halt doch die wahren Meister in Sachen Fußball-Glück. Da können sich die Türken noch so durch das EM-Turnier schwindeln, sie sind halt nur Zweite, wenn es darum geht, mit Fortuna im Wadl eine Partie zu entscheiden. Vielleicht haben es die Deutschen ja auch darauf angelegt, nachdem sie gesehen hatten, dass die Türken drauf und dran waren, ihnen den Rang abzulaufen.
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Zunächst, oje, den späten Ausgleich zulassen, um dann in letzter Minute gekonnt zuzuschlagen, und den Türken damit zu zeigen, wo Hans-Dieter den Apfelwein herholt. Irgendwie schlau gemacht. Nun ist Deutschland wieder die unangefochtene Nummer eins der Glücksrangliste.
Doch ist es einfach nur Zufall, dass es die Deutschen ein ums andere Mal beweisen, dass sie erst wirklich besiegt sind, wenn sie geduscht und traurig im Bus sitzen? Oder ist dieses Glück der späten Treffer längst einer selbsterfüllenden Prophezeiung gewichen? Die Deutschen wissen, dass mit der 90. Minute ihre Zeit beginnt, ihre Gegner wissen es auch. Sie werden sich darauf einstellen und sich bestätigt fühlen, wenn die Deutschen doch noch treffen.
Gewisse Phänomene wiederholen sich im Sport zu häufig, dass sie nur mit Zufall zu erklären sind. Frank Lampard und Steven Gerrads treffen problemlos vom Elfmeterpunkt bei ihren Vereinen, kaum streifen sie das englische Trikot über, geht nichts mehr.
Die Niederländer, noch immer geschädigt von der WM-Final-Niederlage 1974, können nach wie vor nicht normal gegen Deutschland spielen, wenn auf der anderen Seite Schwarz-Rot-Gold steht, verkrampfen sie wie es auch die Engländer tun. Alte Wunden heilen eben nicht so schnell, und sie werden scheinbar von Generation zu Generation weitergegeben.
Das Unterbewusstsein ist eben ein Hund. Und sich von diesen Mustern zu emanzipieren, ist im Sport nicht leicht. Die Deutschen haben von ihrem Ruf, quasi unbezwingbar zu sein, vor allem bei wichtigen Turnieren, lange gelebt. Bei der WM 2002, als der DFB ein schwaches Team nach Fernost schickte, erreichte Deutschland trotzdem das Finale.
Dass der Zufall im Fußball eine Hauptrolle spielt, ist nun keine neue Erkenntnis, doch dieser Faktor hat in den vergangenen Jahre immer mehr an Bedeutung gewonnen. Zu klein ist das Leistungsgefälle bei Welt- und Europameisterschaften, auch Österreich war nicht schwach genug, dass es von Kroatien, Polen und Deutschland an die Wand gespielt wurde. Und irgendwie führt sich der Fußball langsam ad absurdum, wenn nur noch die Mannschaften gewinnen, die am Tag X vom Glück geküsst werden.
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"Gewisse Phänomene wiederholen sich im Sport zu häufig, dass sie nur mit Zufall zu erklären sind"