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Integration ist keine Einbahnstraße. Auch die einheimische Bevölkerung sollte darin eingebunden werden.
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In meinem Vortrag über "Musliminnen in Europa" fragte mich eine Dame, ob ich denn nicht einfach eine Checkliste erstellen könne. Was so alles zu berücksichtigen sei im Umgang mit Musliminnen, und vor allem, welche Werte wichtig wären. "Gerne", erwiderte ich. "Wenn Sie mir eine Checkliste über christliche Frauen geben können, dann wäre mir sehr geholfen. Zwecks Anlehnung bei der Erstellung." Sie konterte: "Naja, aber DIE christliche Frau gibt es ja gar nicht."
Genau, DIE muslimische Frau gibt es genauso wenig wie DEN Flüchtling. Doch diese Vorstellung hält sich hartnäckig als Klischee. So heißt es immer wieder, Flüchtlinge hätten auch andere Werte, andere Lebensvorstellungen und Lebensweisen. Aktuell steht zur Debatte, Flüchtlinge in Kurse zu schicken, um ihnen österreichische Werte zu vermitteln - demokratische, rechtsstaatliche Werte sowie den Umgang zwischen Mann und Frau -, um die Integration zu erleichtern. Eine Schule der Werte - aber nur für Flüchtlinge. Das verwundert, denn Integration braucht beide Seiten.
Die Politik fordert dies lediglich von den Neuangekommenen. Jedoch kann sich im Dialog mit Alteingesessenen mitunter offenbaren, dass es vielleicht so viele (Werte-)Unterschiede gar nicht gibt. Und der Wunsch, selbstbestimmt in Freiheit und Würde zu leben, universell ist. Warum sonst flüchten so viele Menschen aus Kriegsländern?
Viele Syrer, Männer wie Frauen, erklären, das Wichtigste sei ihnen, im Arbeitsmarkt Fuß zu fassen mit ihren bisherigen Qualifikationen oder weiterzustudieren. Ihnen zu erzählen, wie gleichberechtigt Mann und Frau in Österreich zusammenleben, erscheint absurd, lenkt man den Blick auf den gravierenden Unterschied beim Einkommen von Mann und Frau hierzulande oder in Richtung der oberösterreichischen Landesregierung.
Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau ist ein Thema, aber wenn, dann bitte für alle gleichermaßen, sodass dies gesamtgesellschaftlich bearbeitet wird. Warum also diese Diskriminierung gegen alteingesessene Österreicher, ihnen vorzuenthalten, wie ein gleichberechtigter Zugang zu Ressourcen und Arbeitsmarkt und die Aufteilung der Verantwortung innerhalb der Familie funktionieren soll? Oder das Wissen über die Geschichte und Geografie Österreichs? Oder die korrekte Müllentsorgung?
Und zu den Geschlechtern: In Kanada erklärte der neue Premier Justin Trudeau, warum sein Kabinett aus genau gleich vielen Männern und Frauen besteht: "Weil wir 2015 haben." Werte kann man durch das Tun und Handeln weitervermitteln - auf Augenhöhe. Das braucht ein Kennenlernen des jeweils Anderen und neue Formen des Zusammenkommens der Menschen - der Flüchtlinge und jener, die hier beheimatet sind. Diese Form des interkulturellen Dialogs bietet auch die Chance auf einen intrakulturellen Dialog, bei dem man neben der Fremden auch die eigene Kultur kennenlernen kann.
Weiterentwicklung täte allen gut. Genauso täte es uns gut, uns darauf einzulassen, die anderen, aber vor allem uns selbst besser kennenzulernen und gemeinsam zu einer Gesellschaft heranzuwachsen, die sich Demokratie und Vielfalt nicht nur auf die Fahnen heftet, sondern diese auch lebt.