Studien über Gentrifizierung sind in Wien Mangelware, wären aber notwendig.
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Wien. Der Aufwertung eines ehemals unbedeutenden Stadtteils folgt zumeist die Verdrängung der Alteingesessenen. Vor allem jener, die es sich nicht mehr leisten können, ihre Miete zu bezahlen. Zu diesem Schluss kommt man, wenn man Immobilienpreise im Laufe der Jahre verfolgt hat. Die noch vor zehn Jahren unbeachtete Gegend zwischen Augarten und Praterstern kann als Beispiel für diese schleichende Gentrifizierung herangezogen werden. 30-Quadratmeter-Zimmer zum Mietpreis von 660 Euro pro Monat sind heute dort nicht mehr Ausnahme, sondern Standard.
Auch die Ottakringer Straße - ebenso bekannt als Balkanmeile - zwischen Ottakring und Hernals verwandelte sich in den vergangenen Jahren von der grauen Maus zur Topgegend. Ein Dachboden nach dem anderen wurde in den vergangenen Jahren ausgebaut. Heute stehen nur noch zehn Prozent der Dächer für einen Ausbau zur Verfügung, vermutet Amila Sirbegovic. Sie arbeitet für die Gebietsbetreuung des 9., 17. und 18. Bezirks und hat den Wandel auf der Ottakringer Straße hautnah miterlebt. "Die Straße hatte einen schlechten Ruf und wurde total vergessen, obwohl sie mitten in Wien liegt." Die Aufwertung erfolgte daher von den dort lebenden Menschen, die etwa leere Erdgeschoßzonen nutzten und kleine Cafés aufmachten. Mittlerweile hat auch die Stadt das Potenzial der Ottakringer Straße erkannt. Nach einjährigen Umbauarbeiten wird die Neugestaltung am Freitag mit einem Eröffnungsfest (Beginn 14 Uhr) abgeschlossen. "Ich wünsche allen Hernalsern viel Freude mit ihrer neuen Straße und erwarte mir von der Attraktivierung der Ottakringer Straße positive Impulse für die weitere Aufwertung des gesamten Grätzels", betont Ilse Pfeffer (SPÖ), Bezirksvorsteherin des 17. Bezirks.
Umfangreiche Investitionen für höhere Lebensqualität
Der Bezirksvorsteher des 16. Bezirks, Franz Prokop (SPÖ), bläst ins selbe Horn: "Wir wollen in den nächsten Jahren umfangreiche Investitionen tätigen, Kunst und Kultur fördern, Blocksanierungen und weitere Bauprojekte anregen, die maßgeblich die Entwicklung dieses Gebietes beeinflussen sollen und die Lebensqualität für alle Ottakringer steigern werden." Angesprochen darauf, ob diese geplanten Maßnahmen und Investitionen nicht auch den Gentrifizierungsprozess ankurbeln könnten, verweist Prokop auf das angrenzende Brunnenviertel, wo es in hohem Ausmaß gelungen sei, die Verdrängung zu verhindern. Grund dafür sei der enge Kontakt zur ansässigen Bevölkerung gewesen, die bei der Entwicklung des Viertels miteinbezogen wurde. Auch der dort befindliche Wollner-Hof, der jahrzehntelang leer stand und heute günstige Genossenschaftswohnungen anbietet, hat für eine Beibehaltung der Durchmischung des Viertels beigetragen.
Weitere Möglichkeiten für die Beibehaltung von niedrigen Wohnkosten sind Mietobergrenzen, die nach Sanierungen durch den Wohnfonds festgelegt werden können, sagt Prokop. Zwischen der Haberlgasse und dem Nepomuk-Berger-Platz gebe es derzeit 90 Liegenschaften, wo der Wohnfonds derzeit versucht, mit den Hauseigentümern Kontakt aufzunehmen. Wenn der Hauseigentümer aber kein Interesse hat, könne man als Stadt auch nichts machen, so Prokop. Die Sanierungen seien aber notwendig. Wasser und WC am Gang, wie sie in Häusern entlang der Ottakringer Straße vorzufinden sind, würden nicht mehr heutigen Standards entsprechen. Aufgrund der Erfahrungen mit dem Brunnenviertel ist Prokop überzeugt, dass sich auch in der Ottakringer Straße die Verdrängung in Grenzen halten werde.
Es gibt keine Studien, die sich mit Gentrifizierung beschäftigen, sagt Theresa Schütz von der TU Wien, Fachbereich örtliche Raumplanung bei einer Podiumsdiskussion der Kunst- und Kommunikationsagentur Art Phalanx. Vor allem zwei Studien wären dringend notwendig. Man müsste untersuchen, welche Bevölkerungsveränderung und -auswechslung stattfinden und durch welche Mechanismen und Zusammenhänge Menschen ihren Wohnort verlassen müssen. Sie kritisiert die derzeitige Stadtentwicklung, die sich nur nach Ökonomie und Wachstum orientieren würde. Das sei nicht der richtige Weg. Es seien alternative Formen nötig anstelle von marktorientierten Strategien, die in der Planung angewendet werden. "Die Frage ist, wie Veränderung stattfindet. Fühl ich mich noch wohl in einem Bezirk, wo ich nur Café Latte trinken kann und mich Leute ansehen, weil ich nach Alkohol stinke?" Schütz will sich diesen Marktlogiken nicht unterwerfen. Ein Beispiel, wo es ohne Marktlogik funktionieren würde, kennt sie aber nicht. Und um alternative Formen auszuprobieren, fehle der Raum.
Ein Paradebeispiel für Gentrifizierung in Wien sieht sie in dem Bau des WU-Campus. In diesem Grätzel werde sich die Bevölkerung garantiert auswechseln. Den Verdrängten bleiben dann nur Gegenden wie Rothneusiedl oder in Floridsdorf und der Donaustadt, sagt sie. "Dort, wo nur gewohnt wird und sonst nichts passiert."
Erich Bernard von BWM Architekten und Partner ist überzeugt, dass es bei einem Wandel immer Menschen geben werde, die "verletzt" werden und unfreiwillig abwandern müssen. "Das gehört dazu. Aber Wandel ist notwendig." Die Ottakringer Straße hält er für sehr gelungen. Er gibt aber zu bedenken: "Einerseits liebt man die Veränderung, die Aufwertung. Das bringt aber auch wieder eine neue Schicht von Menschen, die dann wieder jene Menschen, die die Veränderung gemacht haben, verdrängt."