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Es ist eine fast mythische Geschichte von Unrecht und Schicksalswende. Der Tod eines alten Schauspielers, der jahrzehntelang ausgegrenzten wurde, führte zum Aufbegehren gegen das iranische Regime. Die öffentliche Reaktion auf das Ableben des bekannten Darstellers und Regisseurs Nasser Malek-Motiee (88) vor wenigen Tagen in Teheran ist einmal mehr, und diesmal viel intensiver, ein Ausdruck der Wut, die sich in einer Gesellschaft entlädt, die systematisch unter Druck und Ausgrenzung durch eine Elite leidet, die alle Zeichen der Zeit verschläft und Macht wie Profit als ihr exklusives Recht betrachtet.
Malek-Motiee durfte in seiner Heimat 40 Jahre lang weder einen Film machen, noch wurde ihm ein öffentlicher Auftritt in Medien gestattet. Die Nachricht von seinem Tod löste eine stündlich zunehmende Welle öffentlicher Proteste und Straßenmanifestationen aus. Dabei wurden Poster seiner alten Filme hochgehalten und Sprüche skandiert, die das ihm widerfahrene Unrecht thematisierten. Der Höhepunkt war sein Begräbnis am vergangenen Sonntag, das mehrere Stunden dauerte. Eine Manifestation von Zorn und Unverständnis, getragen von Tausenden. Die große Masse erinnerte an den beliebten Künstler, der mit seinen Filmen ihre Träume und Vorstellungen gestaltete und begleitete. Große Schauspielerkollegen und Filmleute hielten feurige Grabreden.
Stellvertretendes Schicksal
Über all dem hing ein riesiges Fragezeichen: Warum hat man Malek-Motiee derartig isoliert und marginalisiert? Warum wurde ihm jahrzehntelang nicht einmal die Teilnahme an einer moderierten Talkshow im Fernsehen erlaubt? Die Identifikation der Bevölkerung mit ihm konnte nun deutlicher nicht sein. In der Trauer um den im Iran extrem populären Schauspieler kam die aufgestaute Frustration einer ganzen Gesellschaft zum Ausdruck.
Nur regimekonforme Günstlinge können vom Kuchen naschen. Alle anderen werden zum Schweigen oder zum Verlassen des Landes gebracht oder aus dem Land gedrängt. Malek-Motiee sah trotz allem keinen Grund, den Iran zu verlassen. Er liebte das Land und die Menschen, die ihn liebten. Aber die Nähe zu seine Fans wurde ihm verweigert. Er litt darunter und brachte das auch gelegentlich öffentlich in seiner zurückhaltenden Art zum Ausdruck.
Doch die iranischen Zensoren sahen für so jemanden keinen Platz in ihrer Gesellschaft. Abgesehen davon, dass Menschen, die aus irgendeinem Grund Massen anziehen, eine große Gefahr bedeuten. Malek-Motiee wurde deshalb jeglicher Zugang zu schöpferischer Arbeit und Teilnahme am Kulturgeschehen verwehrt. Dieses Schicksal teilte er mit vielen Kollegen und anderen Intellektuellen, die lange nach ihm gekommen waren. Doch er war mit seinen Filmen längst eine Ikone.
Immer mehr Proteste
Trauerfeiern für Prominente und Begräbnisrituale für nicht politische Personen wurden in den vergangenen Jahren von der iranischen Bevölkerung - die sonst kein Versammlungsrecht hat - immer wieder für öffentliche Protestbekundungen genutzt. Allein seit Jahresbeginn gab es in mehr als 100 iranischen Städten Demos und Protestmärsche: gegen die hohe Arbeitslosigkeit, die schlechte Wirtschaftslage, die hohe Inflation und das Damoklesschwert eines schwelenden internationalen Konflikts. Aber der Tod Malek-Motiees bot einen anderen Zündstoff. Sein Schicksal stand stellvertretend für das vieler Menschen im Iran, für eine unerfüllte Sehnsucht nach Freiheit.
Freilich war Malek-Motiee ein anderes Kaliber, und so sind die Proteste rund um sein Begräbnis ein großer Funke unter vielen kleinen in jüngerer Zeit. Funken, die womöglich zu einem großen Feuer anschwellen können. Das repressive Regime zieht aber in schlafwandlerischer Ahnungslosigkeit die Zügel immer fester an.
Das Leben vor allem der jüngeren iranischen Gesellschaft spielt sich auf einer ganz anderen Ebene ab als jenes der Eliten. Schon einmal wurde im Iran die Chance verpasst, die ungerecht behandelte Mehrheit der Gesellschaft etwas mehr einzubeziehen. Mit Folgen, die später niemand in den Griff bekommen konnte. Und historisch betrachtet ist das noch gar nicht so lange her.
Wie der Tod eines Schauspielers im Iran in der politisch aufgeheizten Stimmung das Fass zum Überlaufen bringen kann.