Stechender Kopfschmerz im schönsten Moment ist ein gar nicht so seltener Grund, dem Sex zu entsagen. Deutsche Neurologen haben nun einen Versuch unternommen, der wahren Natur dieses Problems auf die Spur zu kommen. Sie fanden heraus, dass vor allem Männer in den frühen Zwanzigern eher zu sexuellen Kopfschmerzen neigen und präsentierten die Ergebnisse ihrer Studie vergangene Woche beim 6. Kongress der Europäischen Föderation der Neurologischen Gesellschaften in Wien. Betablocker, Indometacin oder gar ein neuer Nasenspray gegen Migräne könnten vorbeugend wirken.
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Kopfschmerz, der parallel zum Orgasmus einsetzt: Wer´s je erlebt hat, weiß, dass diese paradoxen Empfindungen die reinsten Folterqualen darstellen: Es ist, als würde das Lustempfinden grausam bestraft werden, weshalb "Freudianer" an dieser Stelle gern wissend mit dem Kopf nicken. Zumal der "Lerneffekt" durchaus darin bestehen kann, künftig den Schmerz zu vermeiden und deshalb auf das Vergnügen zu verzichten. Das könnte in Folge und Summe eine ganze Menge Menschen auf die Couch treiben.
Viele mögliche Ursachen
Immerhin treten sexuelle Kopfschmerzen bei bis zu einem Prozent der Bevölkerung - zumindest einmal im Leben - auf. Diese Kopfschmerzen werden in aller Regel nicht durch Kopfverletzungen oder eine anderen Krankheit hervorgerufen. Allerdings können - je nach Arzt, mit dem man das Problem bespricht - wie bei Migräne und anderen Kopfschmerzen schier unendlich viele Ursachen vermutet werden: Etwa die Halswirbelsäule (Zervikalsyndrom), Verkrampfungen infolge der Erregung, unwillkürliche "falsche" Bewegungen, zu rasch ansteigender Blutdruck oder Sauerstoffmangel im Gehirn neben psychischen Faktoren wie Stress, Unentspanntheit, Neurosen.
Die von den deutschen Forschern Dr. Achim Frese und Dr. Stefan Evers an der Universität von Münster initiierte Studie untersuchte die klinischen Charakteristika und die Vorhersehbarkeit von sexuellem Kopfschmerz bei einer Gruppe von mehr als 45 Patienten. Die beiden Mediziner fanden dabei ein klares Übergewicht bei Männern: Dreimal mehr Männer als Frauen erfahren sexuelle Kopfschmerzen.
Unabhängig vom Partner und der sexuellen Praxis
Die größte Risikogruppe für die erste Erfahrung mit sexuellem Kopfschmerz stellt das Alter zwischen 20 und 25 Jahren dar. Eine weitere Risikogruppe bildet das Alter zwischen 35 und 40 Jahren. "Wir fanden heraus, dass die Mehrheit der Patienten an einem explosiven und sehr starken Schmerz leidet, der im Rahmen des Orgasmus plötzlich auftaucht. Die anderen erfuhren einen dumpfen Schmerz, der vor dem Orgasmus graduell angestiegen ist", erläuterte Frese die Ergebnisse der Studie.
Was gegen gewisse "Psycho-Ursachen" spricht: Generell ergab sich kein Zusammenhang zwischen dem Schmerz und einem speziellen Sex-Partner oder einer besonderen sexuellen Praxis. In den meisten Fällen traten die Schmerzen während des Geschlechtverkehrs mit dem gewohnten Partner oder während der Masturbation auf. Frese: "Rund die Hälfte der Patienten haben auch bemerkt, dass sie Kopfwehattacken vermeiden können, wenn sie die sexuelle Erregung nur langsam intensivieren."
Typischer Weise traten die Kopfschmerzen über mehrere Wochen hindurch in Anfällen auf und lösten sich dann sehr spontan wieder auf. Die meisten Patienten hatten einen Anfall, andere zwei oder drei. - Was freilich in Einzelfällen in der Folge durchaus zum "Vermeidungsverhalten" und zu Neurosen führen kann, die sich dann bei gegebenem Anlass in Form erneuten Kopfschmerzes oder in gänzlicher Abstinenz niederschlagen können.
Für die Betroffenen relevant sind daher nicht Vermutungen über den Auslöser des Phänomens, sondern Abhilfen: Einigen Patienten wurden daher zur Prävention Betablocker oder Indometacin (ein Antirheumatikum) verschrieben. Vor allem Frauen könnten auch von geringen Ergotamin-Dosen profitieren, da diese entspannend wirken (allerdings auch müde machen können).
Zu wenig Studien
Hier zeigt sich allerdings ein Hauptproblem: Die mangelnde Erfahrung mit dem Phänomen des sexuellen Kopfschmerzes, über den Frauen vielleicht nur seltener berichten. Der Beweis: Die jetzt präsentierte Untersuchung der verhältnismäßig kleinen Gruppe stellt die bisher größte klinische Studie dar, die sich mit dem Thema auseinander setzt. Ihre Autoren sind sich dennoch sicher: "Die Vorhersehbarkeit der Krankheit macht es möglich, den Kopfschmerz adäquat behandeln zu können", sagte Frese. Allerdings seien weitere Studien erforderlich, auch um den eigentlichen Mechanismus der Kopfschmerzen zu verstehen.
Immerhin: Wo die Not am größten, wächst mitunter das Rettende auch - ebenfalls beim Wiener Neurologenkongress wurde ein Nasenspray präsentiert, der schnell gegen schwere Migräne-Anfälle wirkt. Es handelt sich dabei um ein so genanntes Triptan-Medikament, das schnell und ohne notwendige Injektion seinen Effekt entfaltet. Die Substanz Zolmitriptan zum "Schnupfen".
"Klinische Untersuchungen sprechen dafür, dass diese Art der Anwendung den Patienten einen signifikanten Vorteil in der Behandlung ihrer Migräne bietet. Das Medikament wird über die Nasenschleimhaut absorbiert und kann dann auch schnell im Blut entdeckt werden. Das bedeutete, dass die Patienten die Linderung ihrer Symptome schon ab 15 Minuten nach der Einnahme verspüren. Was sich in den klinischen Studien ergeben hat, scheint auch für die tägliche Praxis zu gelten", so Univ.-Prof. Dr. Carl Dahlöf von der Migräne-Klinik in Göteborg, Schweden.
Raschere Wirkung
Spezifisch auf bestimmte Serotonin-Rezeptoren wirkende Substanzen wie Triptan bewirken vor allem eine Verengung der Blutgefäße, die ins Gehirn führen, und dämpfen damit (bei vielen, wenn auch nicht allen Patienten) eine im Migräne-Anfall erfolgende zu starke Erweiterung dieser Arterien. Das hemmt auch die entzündliche Prozesse, die bei der Migräne eine Rolle spielen.
Der britische Pharmakonzern AstraZeneca hat mit dem Zolmitriptan-Nasenspray ein derartiges, allerdings eben rascher wirksames Präparat entwickelt. Ein enormer Vorteil, da es bei akuten Migräne-Attacken immer auf schnelles Reagieren ankommt, weil Abwarten bzw. ein zu langsam einsetzender Effekt die Betroffenen nur umso mehr in einen Anfall abgleiten lässt. Der Spray, der in Schweden bereits auf dem Markt ist, soll in den kommenden Monaten in den diversen EU-Ländern erhältlich sein.
Eventuell vorbeugend
Vorstellbar wäre nun etwa, dass auch alle, die über längere Zeiträume von Kopfschmerzattacken beim Sex geplagt werden, den Spray vorbeugend anwenden - um dem Sex nicht ganz entsagen zu müssen. Postcoital (oder wonach auch immer) wird er nicht benötigt, da die Schmerzen in der Regel rasch von selbst verschwinden.