Ein Begräbnis: Für die Angehörigen des verstorbenen Menschen die letzte Möglichkeit, Abschied zu nehmen. "Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub", sind häufig die letzten Worte des Pfarrers, bevor der Tote den Weg alles Irdischen geht. Doch dass die Leiche bald mit dem sie umgebenden Boden eins wird, entspricht oft nicht der Realität. Es gibt ein Problem, über das meistens nur hinter verschlossenen Türen gesprochen wird: Auf vielen Friedhöfen verwesen Leichen wesentlich langsamer als gewünscht - oder gar nicht.
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Allein in Baden-Württemberg haben 40 Prozent der Friedhöfe damit zu kämpfen. In anderen Gegenden Deutschlands, wie etwa im eiszeitlich geprägtem Norden, aber sicher auch in manchen Gegenden Österreichs, vermutet man ähnliche Probleme. Umfangreiche Untersuchungen gab es dazu bisher aber nicht. Für Wissenschaftler ein guter Grund, ein Forschungsprojekt in der Schwarzwald-Gemeinde St. Georgen zu initiieren.
Die Bodenkundlerin Dr. Sabine Fiedler von der Universität Hohenheim hat auf dem Friedhof von St. Georgen schon einige Gräber ausgehoben und untersucht. "Charakteristisch für den Boden ist, dass er sehr tonhaltig ist und es aufgrund dieses hohen Tongehaltes zu Stauwassereinflüssen kommt", weiß Fiedler. (Das sind Böden, auf denen oft just Wein besonders gut gedeiht.) Der dadurch erheblich gehemmte Luftaustausch führt zu einer Sauerstoffarmut, die wiederum die mikrobielle Aktivität stoppt. Die Leichen werden nicht mehr zersetzt. Ein unappetitliches Problem: Unter den Sargdeckeln erwartet die Wissenschaftler häufig ein noch recht gut erhaltener Mensch - die sogenannte Fettwachsleiche.
Der Rechtsmediziner Professor Matthias Graw von der Universität München ist Fachmann für die Bildung dieser Fettwachsleichen. "Normalerweise werden die Fettsäuren eines Menschen durch den Verwesungsprozess abgebaut. Doch in einer feuchten, kalten und vor allem sauerstoffarmen Umgebung bildet sich ein Fettpanzer, der sich kaum noch verändert", erklärt Graw. Die Wissenschaftler nennen die feste, weiße, bröselige Masse Leichenlipid. "Das Problem ist weniger ein medizinisches oder seuchenhygienisches, sondern eher ein wirtschaftliches", meint der Rechtsmediziner. Denn viele Friedhöfe sind relativ voll belegt und müssten wiederbelegt werden. Solange in den Gräbern allerdings noch Lipidleichen liegen, kann eben diese Wiederbelegung nicht stattfinden. Die Friedhöfe stoßen an ihre Kapazitätsgrenzen.
Künstliche "Beatmung"
Graw hat deshalb zusammen mit den Bodenkundlern Maßnahmen entwickelt, die die Zersetzung der Wachsleichen beschleunigen. Auf ihrem Versuchfeld "beatmen" die Wissenschaftler die Gräber mit Druckluft. Grundsätzlich geht es ihnen darum, den Sauerstoffgehalt im Boden zu vermehren, um dadurch die mikrobiologischen Aktivitäten der Bakterien wieder anzukurbeln. Die so veränderte Bodenluft wird regelmäßig beprobt. "Bei den Gasproben, die wir genommen haben, konnten wir höhere Sauerstoffwerte als bei den unbehandelten Gräbern nachweisen", fasst Graw die ersten Ergebnisse zusammen.
Doch die ausbleibende Verwesung ist nicht das einzige Problem. In vielen Leichen befinden sich hohe Dosen an Antibiotika und Kontrastmitteln, Amalgam und Blei sowie das Allergien hervorrufende Leichengift Cadaverin. Ein neues Gefahrenpotential - und reichlich Forschungsbedarf für die Bodenkunde. "Wenn solche Stoffe im Wasser gelöst werden, besteht vor allem in sandigen und kiesigen Böden die Gefahr, dass sie unser Grundwasser belasten," meint der Bodenkundler Professor Reiner Horn von der Universität Kiel. Das könnte auch für die sandigen Böden in Berlin und Brandenburg zum Problem werden.
Betonkammern
Damit sich solche Umweltgifte nicht in Boden und Grundwasser verlagern, haben einige Bestattungsfirmen ganz neuartige Grabsysteme entwickelt. Sie bestatten die Leichen in abgeschlossenen Kammern aus Beton. Und auch die Wachsleichenbildung soll im Ansatz verhindert werden. "Wir statten die Grabkammern einfach mit Luftschleusen aus", erklärt Günter Ackermann, Geschäftsführer einer Stuttgarter Bestattungsfirma. "Bei Hochdruck kriegen wir so Sauerstoff rein, bei Tiefdruck strömen die Verwesungsgase aus."
Doch es gibt auch noch andere Lösungen, wie etwa Grabhüllen aus Geotextilgewebe. Sie werden in das fertig ausgehobene Grab gehängt, wo der Sarg dann hineingelassen werden kann. Der Vorteil: Das System ist an jedem Ort auf dem Friedhof sofort einsetzbar und es werden keinerlei Baumaßnahmen benötigt.
Die Alternative zur Erdbestattung ist die Einäscherung und anschließende Bestattung in Graburnen. Doch die wird von großen Teilen der Bevölkerung, insbesondere der katholischen, nicht angenommen. So bleibt die Sanierung und Verhinderung von Wachsleichen sicherlich ein Zukunftsmarkt. - Denn der Tod fragt nicht nach freien Gräbern.