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Die Beispiele Türkei und Ägypten zeigen: Achtsamkeit ist angesagt, wenn der "Kampf gegen den Terrorismus" beschworen wird.
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Terrorismus ist böse, tötet Menschen und muss ausgemerzt werden. Die meisten Regierungen sehen das so, zumindest vordergründig. Deswegen hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan dem Terrorismus auch den Kampf angesagt, zumindest vordergründig. Nach dem Selbstmordanschlag in Suruc mit 32 Toten musste er handeln. Böse Zungen behaupten, er hätte bis dahin der blutrünstigen Bande nur zugeschaut, ja sogar Öl von ihr gekauft und Waffen und Kämpfer frei nach Syrien passieren lassen. Aber jetzt macht Erdogan dem Spuk ein Ende. Nach den ersten Luftschlägen gegen die Terrormiliz sagte er, alle militanten Gruppen müssten ihre Waffen niederlegen, auch kurdische und linke Extremisten.
Kurdische und linke Extremisten? Die kämpfen doch gegen die Terrorbande IS, oder? Eigentlich schon, aber uneigentlich hat Erdogans AKP bei den Wahlen Anfang Juni wegen der pro-kurdischen Partei HDP herbe Verluste einstecken müssen. Erdogan nutzt den Kampf gegen den IS nun, um auch gegen die Opposition im eigenen Land vorzugehen. Mehr als 1000 "Terroristen" wurden verhaftet, hauptsächlich linke Oppositionelle und Kurden.
Erdogan hat diese Strategie nicht erfunden. Politische Opposition mit Terrorismus gleichzusetzen, um eine Legitimation zu haben, Kritiker auszuschalten, ist ein probates Mittel von Despoten. In Ägypten begann dieses Spiel mit dem Sturz des Präsidenten Mohamed Mursi. Die Muslimbruderschaft richtete deswegen zwei Protestcamps in Kairo ein, und wochenlange Verhandlungen mit der Regierung begannen. Der Regierungsberater Mohamed ElBaradei war kurz davor, eine friedliche Einigung zu erreichen. Aber die ägyptischen Generäle winkten ab. Sie wollten die Eskalation. Im August 2013 lösten Sicherheitskräftige die Protestcamps mit einem blutigen Massaker auf. Begleitet von einer Medienkampagne, wurde in der Bevölkerung die Angst vor den "terroristischen Muslimbrüdern" geschürt, auch um das blutige Vorgehen vor der internationalen Gemeinschaft zu rechtfertigen. Dafür wurden sogar Werbekampagnen in verschiedenen Sprachen im TV geschaltet.
Die Muslimbrüder hatten eine bewaffnete Miliz, die während ihrer Regierungszeit Gegendemonstranten attackierte. Aber die Sicherheitskräfte interessierte das damals wenig. Ganz im Gegenteil: Als wütende Demonstranten gegen Präsident Mursi aufmarschierten, ging die Polizei Seite an Seite mit der Muslimbruderschaft-Miliz gegen die Kritiker vor.
Heute dürfen Journalisten nicht einmal über die Muslimbruderschaft berichten, ohne sich als Förderer des Terrorismus strafbar zu machen. Jede Demonstration, egal welcher politischen Richtung, wird brutal niedergeschlagen. Die Gefängnisse in Ägypten gehen über vor politischen Gefangenen. Ägypten sieht sich mit Präsident Abdelfattah el Sisi unter einer Militärdiktatur, die schlimmer ist als alles, was das Land bisher gesehen hat.
Terrorismus ist ein dankbares Werkzeug, wenn es um die Einzementierung von Macht und deren Erhalt geht. Denn Terrorismus macht Angst und Angst macht Menschen gefügig. Für uns bedeutet das, achtsam zu bleiben, egal wo der "Kampf gegen den Terrorismus" gerade beschworen wird.