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Bei den US-Midterms bewerben sich republikanische Kandidaten, die das Präsidentschaftsvotum 2020 anzweifeln.
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Es gehört zu den bizarren Besonderheiten dieses Wahlkampfs. Vor den US-amerikanischen Midterm-Wahlen am 8. November bekommen republikanische Kandidatinnen und Kandidaten bei Debatten und in Interviews regelmäßig die Frage gestellt, ob sie das Ergebnis des Urnengangs auch anerkennen würden. Kari Lake, die Gouverneurskandidatin des Bundesstaates Arizona, bejahte das zunächst. "Ich werde diese Wahl gewinnen und werde dieses Resultat akzeptieren", erklärte sie, als sie vor zwei Wochen via Zoom ins TV-Studio des Fernsehsenders CNN zugeschaltet wurde. Doch als die Interviewerin nachhakte: "Und wenn Sie verlieren, werden Sie das dann auch akzeptieren?", versteinerte sich das Gesicht der ansonsten so telegenen ehemaligen Fernsehmoderatorin. Roboterhaft antwortete sie: "Ich werde diese Wahl gewinnen und werde dieses Resultat akzeptieren."
Kari Lake gehört zu jenen republikanischen Kandidatinnen und Kandidaten, die nicht nur die Legitimität der Präsidentschaftswahl 2020 anzweifeln, sondern auch die kommenden Midterm-Wahlen vorsorglich für gefälscht erklären, sollten sie daraus nicht als Sieger hervorgehen. Dies ist keine Randgruppe vor diesem Urnengang. In vielen Bundesstaaten haben sich bei den republikanischen Vorwahlen im Frühling und Frühsommer von Ex-Präsident Donald Trump unterstützte rechte Bewerber gegen moderatere Konkurrenten durchgesetzt. Keiner der im Kongress vertretenen innerparteilichen Kritiker Trumps, die sich am Untersuchungsausschuss zum Sturm auf das Kapitol am 6. Jänner 2021 beteiligt hatten, tritt wieder an. Entweder sie verzichteten selbst auf eine Kandidatur oder sie verloren die Vorwahlen klar.
Das prominenteste Beispiel dafür ist Kongressabgeordnete Liz Cheney. Die strengkonservative Republikanerin und Tochter des ehemaligen Vizepräsidenten Dick Cheney hatte sich klar gegen Trump gestellt und daraufhin ebenso klar ihren Platz auf dem Stimmzettel in Wyoming verloren. Inzwischen ruft Cheney dazu auf, Stimmen jedenfalls gegen Wahlleugner einzusetzen - selbst wenn dafür demokratisch gewählt werden müsse.
"Schlechte Kandidaten-Qualität"
Zentrale Strippenzieher der republikanischen Partei waren über den Ausgang dieser Vorwahlen nicht glücklich. So hat der mächtige Minderheitenführer im Kongress, Kevin McCarthy, die "schlechte Qualität der Kandidaten" als Kampagnenhindernis bezeichnet, obwohl er inzwischen mit seinem Wahlkampffonds auch diese Bewerber unterstützt, wenn auch nicht im von diesen gewünschten Ausmaß. Tatsächlich hat Trumps Einfluss in den Vorwahlen einige hochumstrittene Figuren in den Wahlkampf um Senat und Repräsentantenhaus sowie - wie im Fall Kari Lakes - um einige Gouverneurssitze gespült. Neben Arizona trifft dies insbesondere auf Pennsylvania, Michigan, Nevada, Wisconsin und Georgia zu.
Trumps Einfluss auf dieses Thema scheint seit den Vorwahlen nicht abgenommen zu haben. Der Kandidat für den US-Senat Blake Masters, ebenfalls aus Arizona, ist derzeit in den Medien omnipräsent. Fox News hatte ihn dabei gefilmt, als er von Trump telefonisch zurechtgewiesen wurde, weil er die Lüge über die gestohlene Wahl bei einer Debatte nicht offensiv genug vertreten hatte. "Schau dir Kari (Lake) an: Wenn sie gefragt wird, wie es ihrer Familie geht, sagt sie: ‚Die Wahl war gefälscht und gestohlen.‘ Wenn du hier schwach wirst, wirst du verlieren", mahnte Trump. Daraufhin gelobte Masters vor einem Millionenpublikum: "Ich werde mich hier verbessern, Mr. President."
Gewaltakte befürchtet
Bei den Midterms werden neben einem Drittel des Senats, dem gesamten Repräsentantenhaus und einigen Gouverneuren noch zahlreiche andere Ämter bestimmt. Von Bundesstaatsabgeordneten über Schulbehördenleiter und Generalstaatsanwälte bis zu - für die Übersicht über den Wahlvorgang zuständigen - Secretaries of State und Wahlbehördenleitern. Als Bewerber für alle diese Posten finden sich Wahlleugner auf republikanischen Listen. Die "Washington Post" hat eine große Umfrage ausgewertet und dabei hochgerechnet, dass die Mehrheit der von den Republikanern aufgestellten Kandidaten die Wahlen 2020 in Frage stellt: 299 der 552 gelisteten Bewerber bestreiten die Legitimität des Votums vor zwei Jahren, zu finden sind sie in jeder Region des Landes und in fast jedem Bundesstaat. Die Umfrage legt außerdem nahe, dass die Mehrheit dieser Kandidaten auch gute Chancen hat, die jeweilige Wahl zu gewinnen.
Über die möglichen Auswirkungen dieser Situation wird derzeit von politischen Beobachtern viel spekuliert. Folgen werden auf mehreren Ebenen erwartet. Zunächst herrscht für die Tage unmittelbar nach der Wahl Unsicherheit darüber, inwiefern die Ergebnisse durch unterliegende Kandidatinnen und Kandidaten akzeptiert werden. Das führt in der CIA zur Befürchtung, dass es in der durch Auszählungsrückstände und Anfechtungen ausgelösten Vakanz erneut in einigen Bundesstaaten zu gewaltsamen Ausschreitungen kommen könnte, zumal die Gewaltbereitschaft von Verschwörungstheoretikern und Wahlleugnern zuletzt durch den Angriff auf den Ehemann der Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt ist. Die weitreichenderen Folgen, wenn Wahlleugner in Ämter bestellt werden, könnten sich aber beim nächsten großen Urnengang zeigen, bei der Präsidentschaftswahl 2024.
Der Untersuchungsausschuss zum Sturm auf das Kapitol hat inzwischen den Ablauf des Versuchs Trumps herausgearbeitet, trotz der verlorenen Wahl 2020 im Amt zu bleiben. Gescheitert ist dieses Vorhaben letztlich an verantwortlichen Funktionären beider Fraktionen, die den korrekten Ablauf des Votums und deren rechtmäßige Beurkundung vor den Sieg der eigenen Partei gestellt haben. Zu einiger Berühmtheit hat es damals der republikanische Secretary of State Brad Raffensberger aus Georgia gebracht, der den telefonischen Versuch Trumps, ihn mit den Worten: "Ich brauche nur 11.780 Stimmen. Finden Sie mir die 11.780 Stimmen!" zum Wahlbetrug zu überreden, via "Washington Post" veröffentlichte.
Bedroht und eingeschüchtert
Viele der damals diensttuenden Wahlbehördenleiter treten aufgrund von anhaltenden Drohungen nicht mehr bei den Midterms an oder sind vom Dienst ausgeschieden. So hat die politische Stimmung auch auf niedrigerer Ebene ihren Tribut gefordert: In Arizona haben nach einem Bericht der Regionalzeitung "NorthcentralPA" 50 der 65 Bezirkswahlbehördenleiter seit 2020 ihren Dienst aufgrund persönlicher Drohungen und Einschüchterungen gegen sie quittiert; in Nevada waren es laut dem Fernsehsender MSNBC zehn der 17 Behördenleiter.
Derzeit bewerben sich in 13 Bundesstaaten, darunter Arizona, Michigan, Minnesota und Nevada, Personen für staatliche Funktionen wie oberste Wahlbehördenleitung, die bereits im Vorfeld klargestellt haben, dass sie die Ergebnisse von 2020 nicht bestätigt und freigegeben hätten. So hatte der als Secretary of State des Bundesstaates Arizona kandidierende und derzeit in den Umfragen führende Mark Finchem - er selbst war am 6. Jänner 2021 vor dem Kapitol und musste zuletzt vor dem Untersuchungsausschuss dazu aussagen - Anfang Oktober getwittert: "Mein einziger Weihnachtswunsch sind ein paar verhaftete kriminelle Wahlfälscher." Auf die Frage, ob er die Wahlresultate 2024 bestätigen würde, wenn Präsident Joe Biden in Arizona die meisten Stimmen bekommen würde, antwortete Finchem dem "Time Magazine": "Das wäre nicht sehr glaubwürdig. Ich kenne niemanden, der Biden gewählt hat." Bei ähnlich knappen Ergebnissen wie 2020 würden aber genau diese paar Staaten reichen, das Ergebnis der Wahl zu verändern.
Wie polarisiert die amerikanische Bevölkerung ist, zeigen jüngste Umfragen. Sechs von zehn Republikanern und immerhin fast ein Drittel der Gesamtbevölkerung glauben, dass die Präsidentschaftswahl 2020 auf irgendeine Weise gefälscht war und dass Präsident Biden daher unrechtmäßig im Amt ist. Gleichzeitig geben mehr als 40 Prozent der Wählerinnen und Wähler an, dass die Rettung der Demokratie für sie ein entscheidendes Wahlmotiv ist.