)
Die Diskussion über das Verhältnis der katholischen Kirche zum Nationalsozialismus gleicht dem Vulkan Ätna. Sie bricht in unregelmäßigen Abständen aus. Der jüngste Anlass für die Eruption: Die Aufhebung der Exkommunikation von vier Weihbischöfen der Priesterbruderschaft St. Pius X. - bekanntgegeben am 24. Jänner. Unter den Rehabilitierten: der Brite Richard Williamson, der in einem 2008 aufgenommenen TV-Interview gesagt hatte: "Ich glaube, es gab keine Gaskammern."
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 16 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Nach einer Welle der Empörung verlangte der Vatikan am Donnerstag, dass sich der Neo-Bischof von seinen Äußerungen distanziere, bevor er wieder voll in die Kirche aufgenommen werden könne. Wie aber konnte man in Rom zuvor auch nur daran denken, einem solchen Mann einen Gnadenerweis zuteil werden zu lassen? Aus Nichtwissen? Die Frage, ob der Papst vom Antisemitismus Williamsons Kenntnis hatte, beantwortet der Vatikan nun mit einem eindeutigen Nein.
Dass man es in der Kurie wissen hätte können, ist hingegen evident: Schließlich hatte "Spiegel Online" bereits am 19. Jänner über das Interview berichtet, das am 21. Jänner ausgestrahlt wurde. Zu all dem war Williamson bereits 1989 einschlägig aufgefallen. Und er steht mit seiner Meinung in der Piusbruderschaft, die sich allerdings von seinen jüngsten Äußerungen distanziert hat, nicht allein: Seine Mitbrüder Michael Crowdy und Kenneth Novak schrieben 1997 im Pius-Magazin "Angelus": "Das Judentum ist generell feindlich gegenüber allen Nationen, in besonderer Weise gegenüber christlichen Nationen."
Auch hochrangige katholische Würdenträger klagen angesichts dieser Fakten nun über Informations- und Kommunikationsprobleme des Heiligen Stuhls. Als Entschuldigungsgründe werden die unübersichtlichen vatikanischen Kommunikationskanäle und das isolierte Arbeiten der verschiedenen Abteilungen ins Treffen geführt. Das Problem aber bleibt: Die interne wie externe Öffentlichkeitsarbeit der Kirchenzentrale hat zumindest in der Causa Williamson lange Zeit versagt.
Konzil "modernistisch"
Es ist dies freilich nicht die einzige Schwierigkeit, die die römische Kurie in Zusammenhang mit den Piusbrüdern hat. Sie lehnen nämlich wie ihr Gründervater Marcel Lefebvre die als "modernistisch" empfundenen Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) ab: die praktische Abschaffung des tridentinischen Messritus, bei dem die Hauptgebete auf Latein gesprochen werden und der Priester zum Altar gewendet steht; die offenere Haltung der katholischen Kirche zu den anderen christlichen Kirchen und zu den nichtchristlichen Religionen; sowie die Aussagen zur Religionsfreiheit.
Der Konflikt erreichte seinen ersten Höhepunkt 1976, als Lefebvre und die Seinen durch Papst Paul VI. von der Ausübung ihrer Ämter suspendiert wurden. Zur völligen Eskalation kam es 1988, als Lefebvre gegen die ausdrückliche Anweisung des Papstes vier Bischöfen - unter ihnen Williamson - die Bischofsweihe spendete. Daraufhin verurteilte Papst Johannes Paul II. die Weihen als schismatischen Akt - nach katholischem Kirchenrecht hatten die unerlaubten Weihen die Exkommunikation Lefebvres und der von ihm zu Bischöfen geweihten Priester zur Folge.
Anlass für die Verhängung der schwersten Kirchenstrafe über die Lefebvrianer - und ihre Rückgängigmachung - war also nicht die Holocaust-Leugnung. Diese ist im kanonischen Recht weder expressis verbis als Exkommunikationsgrund angeführt, noch, so meinen Kirchenrechtler, unter einen solchen subsumierbar.
Und noch ein Aspekt des kanonischen Rechts verdient Beachtung: Benedikt XVI. habe jüngst nur die Exkommunikation von Williamson und seinen drei Amtsbrüdern rückgängig gemacht - nicht aber die Suspendierung aus dem Jahr 1976, meinen etwa der renommierte Münchner Kirchenrechtler Stephan Haering und sein Linzer Kollege Herbert Kalb. Die Folge: Der kirchenrechtliche Status als Priester und Bischof ist bis zu einer eventuellen zukünftigen Aussöhnung der Piusbruderschaft mit Rom ungeklärt.
Faustpfand Benedikts
Man kann daher im jüngsten Schritt Benedikts zweierlei erblicken: In der Aufhebung der Exkommunikation eine versöhnliche Vorleistung, um der Piusbruderschaft den Weg zu Gesprächen zu erleichtern, an deren Ende eine vollständige Überwindung der Kirchenspaltung steht. In der Aufrechterhaltung der Suspendierung der vier Weihbischöfe aber auch eine Art Faustpfand und Druckmittel bei den künftigen Verhandlungen zur Beendigung des Schismas.
Auf jeden Fall scheint es diesem Papst ernst zu sein mit der Rückholung der Lefebvrianer: Er hat seit seiner Wahl 2005 mehrere Versuche in diese Richtung unternommen. 2008 hat der Vatikan darauf verzichtet, dass die weltweit knapp 500 Priester und 600.000 Gläubige zählenden Traditionalisten die Konzilsbeschlüsse anerkennen. Sie sollten nur zusichern, keine Erklärungen abzugeben, die der offiziellen Kirchenlinie widersprechen.
Dass bei den künftigen Gesprächen zur Wiedervereinigung das Thema Holocaust-Leugnung keine Rolle spielen wird, ist gerade nach der deutlichen vatikanischen Forderung nach Rücknahme der Williamson-Äußerungen kaum vorstellbar. Was Rom aber auf jeden Fall verabsäumt hat, war, der Welt die Hintergründe der Entscheidung zur Piusbruderschaft zu erklären. Und zwar von Anfang an - nicht tröpfchenweise seit Donnerstag.