Die Oberste US-Juristin Ruth Bader Ginsburg ist tot. Die Diskussion ihrer Nachbesetzung öffnet die Tür für die Erweiterung der Richterbank.
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Sie war und ist fraglos eine Ikone für Gleichberechtigung, und sie war die wohl einzige Richterin am Supreme Court, die von der Popkultur gefeiert wurde, wie ein Star. Ruth Bader Ginsburg, abgekürzt RBG, ist am Wochenende im 88. Lebensjahr gestorben. Sie hatte über ein Jahrzehnt mit Bauchspeicheldrüsenkrebs, Darmkrebs und Lungenkrebs zu kämpfen. Aber sie war auch bis zuletzt Richterin am Obersten Gerichtshof der USA und war bei ihrer Angelobung erst die zweite Frau in dieser Funktion. Bis heute sind nur zwei weitere Frauen an Obersten Gerichtshof tätig, ein Gremium, das momentan neun Juristen zählt. Aber dazu später.
Als RBG von dem demokratischen Präsidenten Bill Clinton 1996 als Oberste Richterin nominiert wurde, erklärte der Präsident: "Ruth Bader Ginsburg kann nicht liberal oder konservativ genannt werden, sie ist über solchen Bezeichnungen erhaben."
RBG hatte einen pragmatischen Ansatz: Sie hatte schon früh erkannt, dass die juristische Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau nur dann eine Chance bekommt, wenn sie die männliche Perspektive in den Vordergrund rückt. 1970 schaffte es RBG so, sämtliche Gesetze auf den Prüfstand zu stellen. Sie ging für Charles Moritz vor Gericht. Moritz konnte die Pflegekosten für seine kränkliche Mutter nicht von der Steuer absetzen - weil er ein unverheirateter Mann war. Das Gesetz ging bis dahin davon aus, dass die Pflege von Verwandten Frauensache war. Die Richter entschieden für RBG und Moritz: Selbstverständlich dürfe ein Mann auch Pflegekosten von der Steuer absetzen. Damit war der Damm gebrochen: Weitere Gesetze konnten auf Basis dieses Urteils auf die Benachteiligung von Geschlechtern untersucht werden.
Ihren Kampf für die Gleichstellung und für Minderheiten führte sie in ihren fast drei Jahrzehnten am Obersten Gerichtshof weiter. Das Etikett liberal, radikal oder konservativ interessierte sie nie. Einer ihrer besten Freunde auf der Richterbank war die lauteste Stimme der Konservativen, der Richter Antonin Scalia, mit dem sie gemeinsam in die Oper ging.
Damit war sie auch Vertreterin eines Amerikas, in dem man befreundet sein konnte, obwohl man politische Differenzen hatte. Als sie Scalia das erste Mal reden gehört hatte, hatte sie etwa zu jedem einzelnen Punkt eine gegenteilige Meinung. Trotzdem brachte er sie zum Lachen.
Personenkult nach Dissens
RBG schaffte es auch, was wenige Juristen schaffen: Sie wurde von der Jugendkultur gefeiert. Eine Jusstudentin widmete ihr 2013 einen Blog mit Namen "The Notorious RBG" und feierte sie wie einen Rap-Star, der sich nichts gefallen lässt: Grund war damals RBGs wütend formulierter Dissens, als der Oberste Gerichtshof zuließ, dass in Staaten mit historischer ethnischer Diskriminierung einmal mehr die Unterdrückung von Wählerstimmen erlaubt wurde. Das brachte ihr Anerkennung in vielen Kreisen abseits der Juristerei und Politik ein, auf einmal war ihr Gesicht auf Hausmauern, T-Shirts, Taschen und ihre schwarze Robe mit den Spitzenrüschen ein beliebtes Halloween-Kostüm. Die Disziplin der über 80-Jährigen flößte auch Konservativen Ehrfurcht ein, angeblich machte sie bis zuletzt 20 Push-ups am Tag.
Was passiert nun nach ihrem Tod? Der republikanische Präsident Donald Trump hat bereits deutlich gemacht, dass er ihren Posten noch vor den Wahlen nachbesetzen will. Er schlug dazu zwei Frauen vor: Die 48-jährige Amy Coney Barrett gilt als konservative Katholikin, die Abtreibung kritisch sieht. Weniger kontroversiell ist die 52-jährige Barbara Lagoa, Amerikanerin kubanischer Abstammung.
Es gibt kein Gesetz, das vorschreibt, wann eine Stelle am Verfassungsgericht nachzubesetzen wäre. Üblich war bisher, dass es eben der amtierende Präsident macht und der Senat die Nominierung annimmt. Deshalb treten die Richter, die auf Lebenszeit ernannt sind, während der Amtszeit eines ihnen politisch nahestehenden Präsidenten oft zurück - damit die Position eben wieder konservativ oder liberal nachbesetzt werden kann. Deswegen störte es alle Politiker der Mitte, als der republikanische Senat verhinderte, dass Barack Obama zehn Monate vor seinem Amtszeitende einen neuen Richter ernennen konnte. Das wäre Sache des nächsten Präsidenten, hieß es damals. Bei RBG sieht es offenbar anders aus.
Warum RBG nicht ebenfalls aufgrund von Alter und Krankheit in der Ära Obama zurückgetreten war, erklärt sich aus ihrem Optimismus. Sie hatte gesagt: "Ich bin sehr optimistisch, was 2016 anbelangt." Sie ging von einem Sieg Hillary Clintons aus. In ihrem Nachlass wünscht sich RBG explizit, dass erst der nächste Präsident - die Wahlen sind am 3. November - ihre Nachfolge bestimmt. Und Trump dürfte auch in den eigenen Reihen Schwierigkeiten haben: Sogar zwei republikanische Senatorinnen haben gesagt, die Ernennung sei Sache des nächsten Präsidenten.
Das Gericht würde ohnehin konservativ bleiben, das Kräfteverhältnis der neun Richter war schon vor dem Tod RBGs fünf zu vier. Solange es neun Richter auf der Obersten Bank sind. Denn der Senat könnte theoretisch die Bank erweitern, etwas, an das immer wieder gedacht wird, wenn es einen Überhang der anderen Seite gibt. Noch sind es allerdings neun Juristen. Daher rührt auch der ebenfalls ikonische Satz von RBG auf die Frage, wann es genug Frauen am Obersten Gericht geben wird: "Wenn wir neun sind." Denn in der Zeit, als es nur neun Männer waren, hat das auch jeder als selbstverständlich erachtet.