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Wenn Wohlstand zu Mangel führt

Von Elisabeth Corazza

Wissen

Ein Viertel der Bevölkerung hat Beschwerden. | Rinnende Nase nicht immer Allergie oder Schnupfen. | Wien. Wenn die Nase rinnt, das Atmen schwer fällt und der Kopf schmerzt, muss man es nicht zwangsläufig mit einer Verkühlung, Grippe oder Allergie zu tun haben. Kommen Symptome wie Hautausschläge, Übelkeit und Verdauungsprobleme hinzu, fällt oft sogar dem behandelnden Arzt die klare Diagnose schwer. Dass diese Krankheitsbilder in Zusammenhang mit der Ernährung stehen können, ist vielen Menschen unbekannt. Manch Betroffener bekommt erst nach langem Leidensweg Information und Hilfe.


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Weihnachtszeit ist Schlemmerzeit. Was wir unserem Körper während der Feiertage zumuten, hat oft nicht nur auf der Waage unangenehme Folgen. Histamin heißt der Stoff, mit dem wir unseren Organismus durch den Verzehr von üppigem Festtagsbraten, Schokolade, knusprigem Karpfen und Käseallerlei mehr als überfordern. Schätzungsweise ein Viertel der Bevölkerung leidet unter leichten Formen der Histamin-Intoleranz (HIT). Bei einem Prozent der Menschen kann man von einem "Krankheitsbild" sprechen, denn für sie sind Speisen, die durch lange Lagerung gereift sind und dadurch Histamin bilden, tabu.

"Histamin kommt, wie andere biogene Amine, in unserer Nahrung ganz natürlich vor und sollte, so wie das körpereigene Histamin, durch das Enzym Diaminooxidase (DAO) im Dünndarm abgebaut werden. Bei Personen mit einer Histamin-Intoleranz fehlt dieses Enzym, oder es arbeitet nur noch eingeschränkt. Das Histamin gelangt durch den Darm in den Körper und verursacht eine Reihe unangenehmer Symptome", weiß der niederösterreichische Biochemiker Albert Missbichler und ergänzt: "Der Leidensweg, den Patienten hinter sich haben, bis sie die Ursache für ihr Unwohlsein erkennen, ist häufig lang. Die Symptome sind bei jedem Betroffenen anders und nicht nur auf ein Organ beschränkt. Selten kommt es sogar vor, dass sie von Ärzten als psychiatrische Fälle abgetan werden, einfach, weil auch unter Medizinern das Wissen über HIT fehlt und nicht in diese Richtung diagnostiziert wird."

"Pseudoallergie"

Da die nach dem Verzehr von gereifter Salami, gelagertem Rotwein oder Edelschimmelkäse auftretenden Krankheitszeichen ähnlich sein können, wie bei einem landläufigen Heuschnupfen, sprechen die Wissenschaftler von einer "Pseudoallergie". Diese Bezeichnung ist gleichermaßen berechtig wie irreführend. Bei einer allergischen Abwehrreaktion zeigt der Körper unmittelbar bei Kontakt mit dem Allergen Symptome. Eine Polle genügt einem Blütenstaub-Allergiker, um im Körper viel zu viel eigenes Histamin auszuschütten. Missbichler: "Bei einer HIT kann der Organismus das durch die Nahrung zugeführte Histamin ab einer gewissen Menge nicht mehr abbauen. Das nötige Enzym DAO im Dünndarm arbeitet nicht oder unzureichend. Die Körperreaktionen setzen etwa eine halbe Stunde bis vier Stunden nach dem Essen ein."

Warum reagieren immer mehr Menschen auf bestimmte Lebensmittel auf so unliebsame Weise? Missbichler, der als Forscher in Tulln ein Labor zur Erkennung und Therapie von HIT leitet, hat dafür eine simple und dennoch desillusionierende Erklärung parat: "Wir leben in einer Wohlstandsgesellschaft, die es uns möglich macht, alles jederzeit und immer essen zu können. Wir ernähren uns von vorverarbeiteten Fertigprodukten anstatt von frischen Lebensmitteln. Das Verdauungssystem ist qualitativ und quantitativ mit seiner Aufgabe überfordert. Es gerät dadurch in ein Ungleichgewicht."

Hilfe bei HIT

Befriedigendere Erklärungen, warum es zu solch unbequemen Körperreaktionen kommt, gibt es bis dato noch keine. Schätzungsweise 80 Prozent der Betroffenen sind Frauen - nicht, weil Frauen eher zu HIT neigen, sondern, "weil Frauen eine größere Sensibilität ihrem Körper gegenüber haben. Männer gehen, wenn´s irgendwo zwickt, nicht gleich zum Arzt", meint Missbichler, der das Phänomen HIT seit 1989 erforscht und nach eigenen Angaben im Jahr 2004 das weltweit einzige Mittel namens "Daosin" zur Abhilfe bei HIT auf den Markt gebracht hat.

Laut dem Biochemiker war der Weg vom Problem zur Lösung einfach: Die schwindende menschliche DAO wird durch eine aus Schweinenieren ersetzt. "Das dem Körper in Kapseln zugeführte Enzym wirkt lokal im Dünndarm, wird nicht in den Körper aufgenommen und ist in Folge auch vollkommen nebenwirkungsfrei", weiß der Forscher, der rund ein Viertel seiner Daosin-Produktion nach Amerika liefert.

Das "diätetische Lebensmittel" gilt nicht als Medikament, die Kosten werden nur in seltenen Fällen (chefärztliche Bewilligung) von der Krankenkasse übernommen. Helmut Schmutz, Miteigentümer des Tullner Laboratoriums ergänzt: "HIT gilt nicht als Krankheit und kann durch strikte Diät vermieden werden. Wir können die Symptome zwar auch nicht nachhaltig heilen, den Betroffenen aber das Leben erheblich erleichtern."

Was ist Histamin?

Histamin ist ein biogenes Amin, das im menschlichen Körper sowie in vielen Nahrungsmitteln vorkommt. Histamin ist ein zentraler Botenstoff im Körper, ein wichtiger Geschmacksträger, hitzebeständig und kommt u. a. häufig vor in: Alkohol, insbesondere Rotwein und Sekt, reifem Käse, Meeresfrüchten (vor allem, wenn sie nicht mehr frisch sind), Fisch, Rohwürsten, Sauerkraut, Tomaten, Spinat, Auberginen, Erdbeeren, Ananas, Bananen und Schokolade.

Informationen im Internet:

http://www.nutridis.at

http://www.alles-essen.at