)
Eine Reform der Arbeitsmarktpolitik muss auch die Mindestsicherung mitdenken.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 7 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Die Arbeitsmarktpolitik hat oft genug Anlass zu Konflikten zwischen den in inniger Abneigung verbundenden Koalitionsparteien SPÖ und ÖVP geboten. Andererseits stand Arbeitsmarktpolitik stets auch im Zentrum sozialpartnerschaftlichen Wirkens, und diese Konsensmaschine hat ein hartes Aufeinanderprallen der Interessen doch stark abfedert. (Und die politische Debatte dabei hinter verschlossene Türen entsorgt.)
Über die Jahre und Jahrzehnte hat sich dadurch aber eine recht ausbalancierte Arbeitsmarktpolitik entwickelt, die sowohl aktivierende als auch sanktionierende Aspekte aufweist. Das kommt nicht von ungefähr. Für Arbeitnehmervertreter sind grundsätzlich Unterstützung und Fortbildung die Mittel der Wahl. Arbeitgeberverbände setzen wiederum lieber auf positive Anreize für Unternehmen (Förderungen) und auf negative Anreize für Arbeitssuchende wie zum Beispiel die Ausweitung der Zumutbarkeit.
Auch wenn der Termin zwischen den Vorständen des Arbeitsmarktservice (AMS) und der Regierungsspitze vergangenen Mittwoch nur zu einem vagen Auftrag geführt hat, das AMS möge bis zum Sommer Reformideen präsentieren, ist aus dem Regierungsprogramm recht gut herauszulesen, dass eine Neugewichtigung in der Arbeitsmarktpolitik ins Haus steht. In dieser werden negative Anreize einen größeren Stellenwert einnehmen als bisher, so steht es zumindest im Regierungsprogramm.
In zahlreichen Passagen ist dieses Programm bei der Arbeitsmarktpolitik fast wortgleich aus dem Wahlprogramm der ÖVP entnommen, obwohl die FPÖ das Thema wörtlich zum "Knackpunkt" für eine Regierungsbeteiligung gemacht hat. Die Freiheitlichen konnten zwar eine Prüfung einer sektoralen Schließung des Arbeitsmarktes für EU-Bürger hineinverhandeln, diese rechtliche "Prüfung" kann allerdings nicht positiv ausgehen.
Die vereinbarten Reformen muss jedoch die von der FPÖ entsandte Sozialministerin Beate Hartinger-Klein umsetzen, und sie hat bereits in dem einen oder anderen Punkt bisher eine abweichende Meinung vertreten. Sie tat es etwa in der Frage einer möglichen Abschaffung der Notstandshilfe. Hier gibt es innerkoalitionär, nicht ganz überraschend, Konfliktpotenzial, und wohl auch noch etwas Verhandlungsmasse für die FPÖ.
Dass jedenfalls Wirtschaftsinteressen in den Vorhaben der Regierung eine größere Beachtung finden, ist aber evident und angesichts einer türkis-blauen Koalition auch logisch. So sollen Schulungen künftig verstärkt direkt in Betrieben und auf einen konkreten Arbeitsplatz hin durchgeführt werden. Das entspricht einer Forderung der Wirtschaft. Eine derartige Praxisnähe bietet auch durchaus Vorteile, es gibt allerdings ein Problem: Wie will man verhindern, dass die Schulung nicht nur eine versteckte Abdeckung eines kurzfristigen Bedarfs auf Kosten des Staates darstellt?
Dem AMS fehlt Kompetenz
In der politischen Sprache nennt sich dies euphemistisch "Mitnahmeeffekt", man könnte aber auch, analog zum "Durchschummeln" bei Arbeitslosen, von einem Missbrauch von Regelungen sprechen. Es wird daher notwendig sein, die Maßnahmen so zu gestalten, dass die politisch gewünschten Effekte erzielt, unerwünschte Nebenwirkungen aber verhindert werden.
Ebenfalls zu erwarten ist, dass die Regierung einen stärkeren Fokus auf Sanktionierungen legen wird. Hier kommt das Arbeitsmarktservice ins Spiel, aber nicht ausschließlich, da das AMS nur den Bezug des Arbeitslosengeldes sperren kann. Dies passiert unter anderem, wenn die Annahme eines zumutbaren Jobs verweigert wird. Keine Entscheidungsgewalt hat das AMS jedoch beim Bezug der Mindestsicherung, die zum Einkommen Arbeitsloser dann hinzukommt, wenn die Versicherungsleistung zu gering für die Existenzsicherung ist. Bei Flüchtlingen, die keine Dienstzeiten aufzuweisen haben, stellt die Mindestsicherung häufig das gesamte Einkommen dar.
Sanktionen oft schwierig
Aus dem internen Revisionsbericht des AMS zur Betreuung von Personen mit nicht-deutscher Muttersprache liest die Regierung nun einen akuten Handlungsbedarf für mehr Strafsanktionen heraus. Allerdings liegt die Kompetenz in Sachen Mindestsicherung bei den Sozialämtern der Länder. Das AMS übermittelt diesen zwar Informationen, die Entscheidungen obliegen aber dem Magistrat beziehungsweise der Bezirkshauptmannschaft.
ÖVP und FPÖ wünschen sich eine bessere Vernetzung dieser Stellen, die ihrerseits allerdings betonen, dass die Abstimmung ausreichend sei. Das Problem ist auch eher, dass die Intensität der Arbeitssuche schwer messbar ist. Wenn sich für einen Job viele bewerben, müssen sich Anspruchsvolle oder Unwillige nicht sehr bemühen, den Job nicht zu bekommen. In die Verlegenheit, eine Stelle tatsächlich ablehnen zu müssen, kommen wenige.
Länder spielen eine Rolle
Sinnvoll wäre es in diesem Zusammenhang, würde man die Reform der Arbeitsmarktpolitik gemeinsam mit jener der Mindestsicherung denken. Doch das passiert nicht. Dabei war die bedarfsorientierte Mindestsicherung bei ihrer Installierung genau das: die fehlende Verbindung zwischen Sozial- und Arbeitsmarktpolitik. Unter anderem darum gibt es nun eine Schnittstelle zwischen diesen Behörden. Zudem hat die Regierung schon die Abschaffung der Notstandshilfe avisiert, womit es automatisch zu einer engeren Verquickung kommen würde, wenn Arbeitslose schneller in die Mindestsicherung zurückfallen.
Bei deren Reform spielen auch die Länder eine Rolle. Sie sollen sich auf eine gemeinsame Lösung bis Sommer einigen. Gelingt diese nicht, könnte die Regierung nur per Verfassungsgesetz eine bundeseinheitliche Regelung beschließen, bräuchten dafür also SPÖ oder Neos. Das wäre allerdings der mühsame Weg.
Richtig ist, dass sich die Anforderungen für die Mindestsicherung seit ihrer Schaffung 2010 verändert haben, da die Gruppe der anerkannten Flüchtlinge immer bedeutender ist. In Wien beträgt sie bereits ein Drittel. Wirklich mitgedacht wurde diese Bevölkerungsgruppe bei der Konzeption dieser Sozialleistung aber nicht, vielmehr wurde die Mindestsicherung als letztes Sicherungsnetz konzipiert. Sie soll nur dann greifen, wenn andere private und öffentliche Systeme die Existenz nicht mehr sichern.
Flüchtlinge haben meist weder ausreichende eigene Mittel noch Ansprüche aus anderen Sicherungssystemen, sie sind also oft ausschließlich auf die Mindestsicherung angewiesen. Doch diese ist weder als Jobsvermittlungs- noch als Integrationsprogramm erdacht worden. Wird der Fokus nun stärker auf Sanktionen gelegt, besteht die Gefahr, die Verhältnismäßigkeit aus den Augen zu verlieren, wenn etwa ein verpasster Termin beim AMS zur Streichung der Mindestsicherung führen würde. So könnte sich Österreich mehr soziale Probleme einhandeln, als manchen vielleicht bewusst ist.