Ratlosigkeit, Verwirrung, Unsicherheit und auch ein gerüttelt Maß an Empörung begleiten die öffentlichen und veröffentlichten Reaktionen auf den jüngsten Coup von Werner Faymann. Der geschäftsführende Parteivorsitzende der SPÖ hat alle auf dem sprichwörtlich falschen Fuß erwischt. Noch ist es aber zu früh um festzustellen, ob er selbst auf dem richtigen Fuß gelandet ist. Das ist die Crux der derzeitigen innenpolitischen Situation.
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Faymann wird in den nächsten Tagen alle Hände voll zu tun haben, die SPÖ auf seine Linie zu bringen. Sein größter Helfer ist dabei die nackte Angst vor einem Selbstzerfleischungsprozess im Angesicht heraufziehender Neuwahlen. Es gibt in der Politik kein effizienteres Disziplinierungsmittel als den Willen zum Überleben - als Kanzlerpartei, als Landeshauptmannpartei, ja vor allem als einfacher Mandatar. Da schluckt man mitunter auch dicke Brocken, und ballt die Faust bloß im Hosensack. Auch in der SPÖ werden diese natürlichen Mechanismen des Machterhalts früher oder später greifen. Und der neue Parteivorsitzende setzt auf sie.
Faymann hat also gute Chancen, seinen innenpolitischen Husarenritt mit europa- und sozialpolitischen Mitteln zu seinem Meisterstück zu vollenden. Über den dabei fälligen Preis an Glaubwürdigkeit wird noch zu reden sein - nach außen ab sofort, nach innen eher später, wohl erst nach überstandener Neuwahl. Und auch da wird das Ergebnis wohl den Standpunkt der breiten Mehrheit in der SPÖ bestimmen.
In der ÖVP wohnen - mindestens - zwei Seelen in der Brust. Dabei darf aber ruhig angenommen werden, dass die Empörung über den europapolitischen Schwenk des Koalitionspartners echt und allgemein ist. Die Volkspartei hat es bei vielen Themen nie an der notwendigen inhaltlichen Geschmeidigkeit des Machtwilligen fehlen lassen. In Sachen Europa hat sich der Spaß für die ÖVP jedoch stets aufgehört.
Aus diesem Grund ist die neue EU-Linie der Faymann-SPÖ für viele Schwarze tatsächlich ein Grund für Neuwahlen. Im Wissen, dass es die SPÖ möglicherweise genau darauf anlegt - um den eigenen ungeliebten Bundeskanzler möglichst rasch loszuwerden und mit dem vorderhand unverbrauchten Faymann punkten zu können. Selbst würde man in diesem Fall mit nicht viel mehr als der eigenen politischen Glaubwürdigkeit dastehen - in Österreich nicht unbedingt die schlagkräftigste Wahlkampfwaffe.
Diejenigen in der ÖVP, die rasche Neuwahlen ablehnen, sehen in Alfred Gusenbauer ihr höchstes Gut und ihren verlässlichsten Verbündeten. Glaubt man, was aus seiner Umgebung transportiert wird, so denkt er nicht daran, sein Amt freiwillig zu räumen. Je länger der Kanzler jedoch im Amt bleibt, desto rascher könnte der Lack des Neuen an Faymann abfallen. Die Fortsetzung der Doppelspitze als perpetuierte rote Selbstbeschädigung: Das ist der Stoff, aus dem schwarze Träume sind. Rasche Neuwahlen passen hier nicht so recht in dieses Drehbuch. Warum sollte die ÖVP auch einen Beitrag zur Selbstentfaltung des Werner Faymann leisten?
Schreibenden Beobachtern fällt es traditionell schwer, aktuelle Ereignisse historisch richtig einzuordnen. Tagespolitische Aufgeregtheiten verkommen da rasch zu epochalen Zäsuren. Persönliche Befindlichkeiten verhindern nur zu oft die professionelle Distanz. Deshalb bleibt abzuwarten, inwiefern der EU-Schwenk der SPÖ nun ein bloßes wahltaktisches Manöver darstellt oder tatsächlich eine Zäsur in der europapolitischen Linie manifestiert. Trifft letzteres zu, müsste tatsächlich die innenpolitische Landkarte neu gezeichnet werden.