Direkte Demokratie boomt - um des Bürgers Willen geht es nur am Rande.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wien. Es sind harte Worte eines ehemaligen Mitstreiters: "Das ist keine ehrliche Befragung. Hoffentlich haben die Bürger Gespür und lassen sich nicht täuschen." 2006 hat Verkehrsplaner Hermann Knoflacher noch an der Seite von City-Bezirksvorsteherin Ursula Stenzel gegen die geplante Garage unter dem Neuen Markt gekämpft und dazu fundierte wissenschaftliche Analysen geliefert; dass Stenzel nun - wie berichtet - nicht nur eine neue Befragung initiiert hat, sondern nun plötzlich für die Garage als Teil eines gesamten Umgestaltungspaketes eintritt, enttäuscht und verwundert Knoflacher im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" gleichermaßen. "Das ist eine verrückte und absurde Denkart wie vor 60 Jahren. Der Platz lässt sich ohne Garage billiger, schöner und schonender umgestalten."
Der Neue Markt emotionalisiert also wieder: Aber anders als vor sechs Jahren wird nicht bloß über eine Garage abgestimmt, sondern gleich über die Umgestaltung eines ganzen Viertels zwischen Albertina, Michaelerplatz und eben Neuer Markt. Entscheiden sich die Bürger (Abgabeschluss ist der 17. März) für das Gesamtprojekt mit Garage, Bus-freiem Albertinaplatz, Anrainerparkplätzen sowie Auto-freiem Neuen Markt soll das Konzept bis 2015 umgesetzt werden; gibt es ein Nein, kommt gar nichts.
Schärfster Kritikpunkt von Grünen und FPÖ im Bezirk ist, dass es keine Variante ohne Garage gibt - wiewohl dies von einem Arbeitskreis so festgelegt worden war. "Weil es dafür in Zeiten von Sparpaketen kein Geld gibt", begründet das Büro Stenzel. Schließlich würde - wie 2006 - der Garagenbauer die neue Oberfläche bezahlen. "Die Dinge haben sich eben geändert, und man kann es nicht allen recht machen", erklärt das Büro Stenzel den hingelegten Sinneswandel.
"Holt sich Legitimation"
Für den Meinungsforscher Wolfgang Bachmayer (OGM) werden solche Bürgerbefragungen freilich nie ohne politischen Hintergedanken abgehalten: "Das hat sich zu einem parteitaktischen Instrument entwickelt, mit dem man Ziele leichter erreichen kann. Man versucht, sich durch eine Befragung öffentliche Legitimation zu holen." Wobei man mit gewissen Tricks "dem eigenen Ziel einen gewissen Spin verleihen" kann, so Bachmayer - sprich: die Fragestellung, die Auswahl der Befragten, die Form der Stimmabgabe. In guter Erinnerung sei noch die Wiener Volksbefragung 2010, die nichts anderes als eine Art Vorwahlkampf gewesen sei.
Derzeit läuft in Wien noch eine weitere, größer angelegte Bürgerbefragung - nämlich jene in Währing über die Einführung des Parkpickerls: 32.200 Bürger zwischen Gürtel und Scheibenbergstraße sind noch bis 9. März stimmberechtigt. Initiiert hat sie ÖVP-Bezirksvorsteher Karl Homole im Alleingang, was ihm Kritik speziell von den Grünen eingebracht hat. Da es keine Mitsprache bezüglich Kreis der Befragten und die konkrete Pickerlzone gegeben hätte, sei das Ergebnis nur bei "großer Beteiligung und einem eindeutigen Ausgang bindend", heißt es von den Währinger Grünen. Im Büro Homole warnt man allerdings die rot-grüne Mehrheit, die den Vorsteher in der Causa jederzeit überstimmen könnte: "Sich über das Ergebnis hinwegzusetzen, wäre politischer Selbstmord." Offiziell hat Homole keine Präferenz erkennen lassen, tendenziell dürfte er aber - so wie seine Partei - gegen das Pickerl sein. "Er erwartet etwas, was seinem politischen Willen entspricht", schlussfolgert daher Bachmayer. "Und geht die Befragung anders aus, kann sich der Entscheidungsträger abputzen und auch so aus dem Schneider kommen." Demnach gibt es also jedenfalls einen Gewinner - der nicht zwingend der Bürger ist.