Iduschtschie wmeste: "Zusammengehende" oder "Gemeinsamer Weg", so könnte man den Namen der Jugendorganisation übersetzen, die in Russland immer öfter "Putin-Jugend" genannt wird. Mit einer Kampagne gegen junge Schriftsteller hat sich die Bewegung auch in westliche Feuilletons geputscht. Sie rief zur Säuberung der zeitgenössischen russischen Literatur auf - und genießt bei solchen und ähnlichen Aktionen maßgebliche Unterstützung vom Kreml. Der lesende Arbeiter fragt sich also: Wie liberal ist eigentlich Herr Präsident Putin?
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 22 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
In einer surrealen Szene seines Romans "Der himmelblaue Speck" lässt Wladimir Sorokin klonierte Hitlers, Stalins, Chruschtschows und eine Reihe gedoppelter Sowjet-Funktionäre miteinander kopulieren. Unter anderem. Doch in den Augen der Putin-Jugend hatte er damit das Andenken der Sowjetunion befleckt.
Die Jugendorganisation - ihr Hauptzweck besteht zunächst wohl darin, ihren inoffiziellen Namenspatron zur offiziellen Ikone zu erheben - forderte diesen Jänner die Russen auf, "traditionsfremde" Bücher an extra eingerichteten Sammelstellen abzugeben. Im Tausch gegen zwei Machwerke neuer Schreiber boten die "Zusammengehenden" dem leseverliebten Volk jeweils ein Werk aus dem Schaffen echter Schriftsteller, aus denen vor Zeiten die russisch-sowjetische Seele sprach. Zum Beispiel eine Schwarte von Boris Wassiljew, einem ausufernden Epiker des Vaterländischen Kriegs. Die abgegebenen Bücher sollten an die jungen Autoren zurückgeschickt, ja, sie sollten damit regelrecht "zugeschüttet" werden, wie der betroffene Schriftsteller Viktor Jerofejew in der Berliner "Welt" berichtete. Er gab seinem Artikel den Titel: "Ein leichter Fall von Bücherverbrennung". Tausche Avantgarde gegen Klassiker im Verhältnis zwei zu eins. Damit wollte man jungen Schriftstellern wie Sorokin, Jerofejew oder Viktor Pelewin ihren Wert klarmachen. Sorokin signierte daraufhin etwa tausend an ihn retournierte Exemplare seines himmelblauen Romans und verkaufte sie um den doppelten Preis. Und der "Speck" ging plötzlich weg wie die warmen Semmeln. Sorokin ist inzwischen auch eine Art Klassiker.
Was als nächstes von der Putin-Jugend kam, war der Vorwurf der Pornografie - wegen besagter aparter Sexszenen. Sorokin konterte, sein Ziel sei es nicht, die Leser sexuell zu erregen. Da könnte er rechthaben. Doch die "Zusammengehenden" erstatteten Strafanzeige, just wegen Pornografie. Im Juli wurde er deswegen vor den Staatsanwalt zitiert. Auf Verbreitung von Pornografie stehen Geldbußen und im schlimmsten Fall zwei Jahre Gefängnis. Sorokin verweigerte die Aussage und hat jetzt im August mit einer Gegenklage reagiert, wegen Urheberrechtsverletzung und - Pornografie. Denn die Putin-Jugend hatte die inkriminierten Szenen ohne Genehmigung des Verlages bei ihren Happenings verwendet und mit solch isolierter Zitation möglicherweise "ungesunde Emotionen" entfacht. Beide Verfahren sind anhängig.
Die Klage der Putin-Jugend hatte den empörten PEN-Club auf den Plan gerufen, der Menschenrechtsbeauftragte des Kremls musste beschwichtigen, und zuletzt sah sich sogar der Kulturminister zu einer Distanzierung gezwungen.
Ein Roman von Alexander Prochanow, der unter anderem beschreibt, wie der russische Geheimdienst die Sprengstoffanschläge auf Moskauer Wohnhäuser 1999 inszeniert, um einen neuen Tschetschenien-Krieg notwendig erscheinen zu lassen und einem ehemaligen KGB-Obersten an die Macht zu verhelfen, ist vom Geifer der Putin-Jugend bisher merkwürdigerweise verschont geblieben. Vielleicht, weil Prochanow bei der Ausschmückung dieser weitverbreiteten Verschwörungstheorie von der Verwendung der Originalnamen vorsorglich absah.
Neue Konsomolzen oder
konforme Konsumisten?
Wer sind eigentlich diese Iduschtschie wmeste? Zum ersten Mal groß aufgetreten sind die Gemeinsamgeher am 7. November 2000, dem einstigen Feiertag der Oktoberrevolution und nunmehrigen "Tag der Eintracht und Versöhnung": Auf dem Roten Platz in Moskau, wo man zu diesem Anlass früher riesenhafte Lenin- und Stalin-Plakate zu sehen gewohnt war, tauchten gigantische Putin-Poster auf. Tausende Jugendliche mit Putin-Konterfei vorne auf dem hellen T-Shirt akklamierten trikoloreschwenkend ihren Präsidenten - während die rotbeflaggten Kommunisten auf ihn schimpften. Was weiß man sonst noch über die Putin-Jugend? Sie ist gegen Drogen, sogar gegen Marx, hat angeblich nichts gegen Kaukasier - und manchmal ist sie mit Besen in der Hand anzutreffen. "Wer der Organisation fünf neue Mitglieder zuführt, erhält als Geschenk einen unter armen Jugendlichen heiß begehrten Pager sowie ein Gratis-Abonnement fürs Schwimmbad oder einen Sportclub", so Jerofejew in der "Welt". Das sind schwache Retouchen an der erschütternden Sozialbilanz der russischen Jugend, aber es schweißt die Wähler von morgen vielleicht zusammen.
"Die Bewegung ist der Jugendflügel der Pro-Putin-Partei "Einheit" (Jedinstwo), ihr Vorsitzender Wassilij Jakimenko gelangte an die Spitze der Bewegung, nachdem er im Verwaltungsapparat des Präsidenten tätig war", so Jerofejew weiter. Ihre Führer nennt er "ungebildete, aber gut angezogene, eher junge Leute mit akkuratem Haarschnitt, die die allgemeine politische Konjunktur wittern, darauf reagieren und damit zu einer unersetzlichen Ressource für die Putinsche Staatsmacht werden." Für die "Frankfurter Allgemeine" sind sie "Jungkarrieristen" und "Konformisten", das Vorgehen gegen Sorokin fand das Blatt sogar "faschistoid"; Moskauer Zeitungen sahen in den "Zusammengehenden" die neuen Komsomolzen von heute, junge Kader einer allmächtigen Staatspartei, wie es die KP 70 Jahre lang war. Finanziert werden die auf bis zu 40.000 Mitglieder geschätzten Brigaden vermutlich von großen staatsnahen Konzernen.
Wieso lässt Putin die USA an den "Unterleib Russlands"?
Der ehemalige kommunistische Geheimdienstler Wladimir Putin verfolgt in Russland einen selbsterklärten liberalen Kurs. Dreinreden lassen will er sich dabei von niemand. Er sucht Kommunisten wie Nationalisten, die in der Ablehnung seiner Politik übrigens auch oft "zusammengehen", gleichermaßen niederzuhalten wie kritische oder "auf ihn angesetzte" Medien. Nach westlichen Maßstäben wirkt dieser Liberalismus ein wenig despotisch und paranoid. Eine gelenkte Jugendbewegung, die patriotische wie sowjetische Werte gleichermaßen hochhält, kann da jedenfalls von Nutzen sein.
Beim Untergang der "Kursk" am 12. August 2000 hat sich der Präsident nach Meinung vieler schlecht benommen: Er blieb in der Sommerfrische auf der Krim, anstatt nach Murmansk zu fahren, dem Heimathafen des U-Boots. Wäre das Unglück nicht so lange geheimgehalten worden, so lautet außerdem ein Vorwurf, hätten vielleicht viele Seeleute gerettet werden können. Seither hat Putin aus nationaler Sicht mehr hinnehmen müssen als auf eine russische Kuhhaut geht:
Die Amerikaner sind in Afghanistan gelandet und verfolgen dort außer Terroristen auch handfeste Interessen. Sie suchen neben der zunehmend unheimlichen saudischen Öloption verstärkt auch nach anderen, zudem ist noch keine der ex-sowjetischen Republiken dem Ölkartell OPEC beigetreten. Aber Zentralasien ist eine Weltgegend, die von Moskauer Strategen als "Unterleib Russlands" bezeichnet wird. Dennoch erscheint dort inzwischen sogar eine dauerhafte Militärpräsenz der USA denkbar.
Weiters musste Putin die sang- und klanglose Beerdigung des ABM-Vertrags zur Kenntnis nehmen, und bei der anstehenden NATO-Osterweiterung um die ehemaligen baltischen Sowjetrepubliken wird es wohl nicht anders sein. Wie und wie lange kann er soviel pro-westliche Politik noch verkaufen? Solange er im Rahmen des Gummibegriffs vom Anti-Terror-Krieg in Tschetschenien weitermachen kann wie bisher? Aber diesen Krieg hat er ja entgegen seinem Wahlversprechen auch noch nicht gewonnen. Daneben versucht er so zu tun, als hätte Russland in der NATO etwas mitzureden, doch alles in allem zeigt Putins "Erfüllungspolitik" gegenüber den Siegern des Kalten Krieges bislang ein flaues Ergebnis. Der WTO-Beitritt ist auch noch nicht geschafft.
Um nicht auf die schiefe Ebene eines energieexportierenden Entwicklungslandes abzusinken, braucht Russland westliches Geld, und dies dringend wie langfristig. Der Westen vernichtet sein Geld indes lieber an den Börsen, anstatt es in leistungsfähige, aber politisch instabile Volkswirtschaften zu investieren. Unter dieser Stabilität scheint Putin eine Art Polizeistaat zu verstehen. In dem es Kriminalität und Korruption zu einer weltweit abschreckenden Blüte gebracht haben.
Die Sowjetunion ist auch an ihrer wirtschaftlichen Schwäche zerbrochen, das kann ein grauer KGB-Karrierist aus der Geschichte lernen. Was nach Putins rigidem Wiederaufbau-Programm kommen wird, werden wir wohl erfahren, wenn die Putin-Jugend erwachsen geworden ist. So es sie nach den nächsten Wahlen überhaupt noch gibt.