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Wer bewertet, soll auch haften

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Wirtschaft

Anleger können bei grober Fahrlässigkeit der Institute klagen.


Straßburg. Eine kleine Aufregung gab es dann doch. Zwar waren sich die EU-Parlamentarier im Prinzip einig, dass sie sich schärfere Regeln für Ratingagenturen wünschen. Doch als sie bei ihrer Plenarsitzung in Straßburg darüber votieren sollten, gab es Differenzen zu den Abstimmungsmodalitäten. Während die einen über alle Änderungsvorschläge in einem Paket abstimmen wollten, drängten andere darauf, das Votum in mehrere Teile aufzuspalten. Ein Murren ging durch den Saal; ein Kompromiss war aber bald gefunden. Und am Ergebnis änderte dies alles nichts: Eine große Mehrheit der Abgeordneten sprach sich für die neuen Vorgaben für jene Institute aus, die die Kreditwürdigkeit von Unternehmen oder Staaten bewerten.

Geht es nach der EU - und diese Position ist bereits mit der EU-Kommission und den Mitgliedstaaten abgestimmt -, sollen Ratingagenturen künftig mehr Verantwortung für ihre Aussagen übernehmen. Mit diesen können die Unternehmen nämlich ein ganzes Land in die Bredouille bringen: Wenn die Bonität herabgestuft ist, wird es schwieriger, seine Schulden zu bedienen oder sich neues Geld zu borgen.

Daher soll der Einfluss der Ratingagenturen eingedämmt werden. So sollen diese künftig ihre Bewertungen von Staatsschulden nicht veröffentlichen können, wenn es ihnen gerade passt, sondern nur zu bestimmten Zeiten. Überhaupt soll dies nicht öfter als drei Mal im Jahr geschehen, und in jedem Fall müssen die europäischen Börsen zu diesem Zeitpunkt bereits geschlossen haben.

Die neuen Bestimmungen sollen außerdem Klagen gegen die Agenturen erleichtern. Wenn die Institute grob fahrlässige Fehler machen und beispielsweise die Kreditwürdigkeit irreführend falsch einschätzen, könnten also Anleger und Herausgeber von Wertpapieren vor Gericht ziehen.

Auch soll die Gefahr von Interessenskonflikten verringert werden. Wenn daher eine Firma mehr als zehn Prozent Anteil an einer Agentur besitzt, darf diese ihre Bewertung dazu nicht veröffentlichen.

Suche nach Alternativen

Unerfüllt blieb der Wunsch der EU-Kommission, die Unternehmen dazu zu verpflichten, die Agenturen regelmäßig zu wechseln. Solch ein verbindliches Rotationsprinzip soll nun lediglich für bestimmte komplexe Finanzprodukte gelten.

Es war nicht die einzige Entschärfung der ursprünglichen Pläne der Brüsseler Behörde. Das erklärte Ziel, den Wettbewerb unter den Instituten zu stärken - und damit die Dominanz einiger weniger zu brechen -, wird daher nur im Ansatz erreicht. So wird sich nicht so schnell etwas daran ändern, dass sich die drei Agenturen Standard&Poor’s, Moody’s und Fitch 95 Prozent des Marktes teilen. Noch dazu ist der Versuch, ein vergleichbares europäisches Unternehmen aufzubauen, fürs Erste gescheitert.

Ebenso ist noch nicht fix, welche Alternativen zu den Ratingagenturen geschaffen werden könnten. Die sind aber noch zu entwickeln, weil sich die EU bis zum Jahr 2020 in keinem Gesetzestext und keiner Vorgabe mehr direkt auf diese Bewertungen beziehen will. Kreditinstitute und Investmentfirmen sollen auf diese Weise angehalten werden, eigene Einschätzungen zu treffen.

Allerdings zeigte sich schon bei der Gesetzgebung in den USA, dass es einfacher ist, die Bezugnahmen zu streichen als sie durch Neues zu ersetzen. Kleine Banken beispielsweise könnten mit der Risikoeinschätzung schlicht überfordert und daher auf Ratingagenturen angewiesen sein. Andere Geldhäuser wiederum könnten Gefahren bewusst herunterspielen. Die drei marktbeherrschenden Ratingagenturen verweisen daher nicht völlig umsonst gern auf ihre lange Tradition, mit der sie gleichzeitig ihre Verlässlichkeit demonstrieren möchten. Standard&Poor’s kann immerhin 1860 als Anfangsjahr seiner Tätigkeit angeben. Und John Moody begann 1909 damit, die Aktienkurse der Eisenbahnen in den USA zu analysieren.

Von den neuen EU-Regeln wie den Zeitvorgaben lassen sie sich jedenfalls nicht beeindrucken. S&P hat soeben die Kreditwürdigkeit Maltas herabgestuft.