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Wer braucht noch Architektur?

Von Bernd Vasari

Immer mehr Architekten werden für Baufehler juristisch belangt.


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Wien. Wien wächst derzeit jährlich um etwa 25.000 Menschen. In zehn Jahren wird sich Wien also in der Größe von Graz vermehrt haben. Die Bauvorhaben in der Stadt stehen diesen Zahlen um so gut wie nichts nach. Angesichts dessen könnte man glauben, dass Zeiten wie diese geradezu paradiesisch für Architekten sein müssten. Hört man sich allerdings in der Architektenbranche um, so bekommt man ein ganz anderes Bild. Denn der Druck auf die Branche würde immer größer werden, heißt es. So würden immer mehr Architekturbüros - egal ob gerechtfertigt oder nicht - juristisch belangt und damit in den finanziellen Ruin getrieben. Und weiters stehe die Kunst der Architektur schon lange nicht mehr im Vordergrund.

Paradigmatisch für die derzeitige Situation ist der Fall des Architekten Georg Driendl, der mit der Generalsanierung des Stadthallenbads beauftragt wurde und der nun wegen Planungsfehler und nicht erbrachter Leistungen von der Stadthalle, auf 5,6 Millionen Euro verklagt wurde. Die "Wiener Zeitung" hat berichtet. Doch obwohl der Architekt jegliche Schuld von sich weist und ein Ergebnis vor Gericht noch offen ist, steht nach einer zusätzlichen öffentlichen Vorverurteilung durch einen Großteil der Medien nun sein Ruf und - damit verbunden - auch seine Existenz auf dem Spiel.

"Stadthalle will Georg Driendl ruinieren"

Für den Präsidenten des Wiener Architekturzentrums, Hannes Pflaum, der Driendl mit seiner Anwaltskanzlei "Pflaum Karlberger Wiener Opetnik" vertritt, ein weiteres Zeichen für die grassierende geringe Wertschätzung gegenüber Architekten. Denn für ihn steht eines fest: "Die Stadthalle versucht sich hier aus der Verantwortung zu nehmen und hat sich dafür mit Georg Driendl den vermeintlich Schwächsten ausgesucht", sagt er zur "Wiener Zeitung". Er erhebt nun schwere Vorwürfe gegen die Stadthalle: "Die Klage ist reiner Aktionismus. Man will Driendl ruinieren. Die Stadthalle hat nun auch angedroht, die Klage auf 17 Millionen Euro auszudehnen." Eine Summe, der Driendl finanziell nichts entgegenzusetzen hat, "wenn man bedenkt, dass Georg Driendl nur eine Versicherung von ein paar 100.000 Euro hat", so Pflaum.

Der Architekt bekräftigt indes seine Unschuld, wobei er sich der Unterstützung der Wiener Architektenkammer sicher weiß. Man wolle die "Diffamierung" eines renommierten Mitglieds nicht hinnehmen, so der Tenor. Für die Kontrolle von Leistungen sei die örtliche Bauaufsicht und nicht der Planer zuständig. Außerdem habe Driendl auf Basis eines Vorprojekts gearbeitet, erst im Laufe der Sanierung seien hier Fehler zutage getreten.

Öffentlicher Auftraggeber als übermächtiger Riese

Für Georg Driendl ist es ein "fatales Zeichen, wenn ein öffentlicher Auftraggeber, der sogar mit einem Bundesdenkmal operiert, den Architekten rausschmeißt und einer Schuld bezichtigt, die dieser gar nicht haben kann. Dann sind wir in einem rechtsfreien Raum." Das zeige nur die "Managementgebarung eines übermächtigen Riesen", der die Schuld an Schwächere abschieben wolle. Laut Hannes Pflaum ist die Klage zudem ökonomisch völlig unsinnig. Denn es kostet der Stadt auf jeden Fall ein Vermögen, weil Driendl bei einer Prozessniederlage nicht das Geld hätte, um zu zahlen.

Doch der Fall Driendl ist kein Einzelbeispiel. Immer öfter werden Baufehler dem Architekten umgehängt. In der Branche reagiert man nun damit, dass zu Vertragsverhandlungen vermehrt der Anwalt mitgenommen wird. Durch die steigende "Sittenwidrigkeit" der Verträge eine logische Entwicklung, sagt Pflaum. In den Verträgen würde sich immer mehr das wirtschaftliche Kräfteverhältnis widerspiegeln. Und da habe der Architekt die schwächere Position, weil er den Auftrag braucht, um damit seine Gehälter zahlen zu können.

Als Architekt müsse man eben funktionieren, sagt auch Michael Hofstätter von Pauhof Architekten. "Sonst wendet sich kein Bauträger mehr an dich." Es gebe eine klare Hierarchie, egal ob bei privaten oder öffentlichen Aufträgen. Dem Architekten bleibe nur die Aufgabe, das zu exekutieren, was ihm vorgegeben werde. Das sehe man auch an den Grundrissen, die mittlerweile seit 30, 40 Jahren gleich bleiben würden. So seien etwa alle Wohnungen zwischen zwei Meter 50 und zwei Meter 60 hoch. "Alle leben in den gleichen Betonschachteln, dabei hat sich die Familienstruktur mittlerweile geändert. Darauf wird aber nicht Rücksicht genommen." Denn heute gehe es nicht mehr um Ideen, sondern um die Formalisierung von Gegebenheiten. Gefördert werden diese Umstände durch Gesetze wie dem EU-Vergaberecht, in dem Architektur nur mehr als Dienstleistung eingestuft werde.

Auch die Vergabe der Bauaufträge durch die Stadt Wien würde zu dieser Entwicklung beitragen. Heute wendet sich die Stadt nicht mehr direkt an die Architekten, sondern gibt den Auftrag an einen Bauträger weiter, der sich um die Abwicklung kümmert. Damit sei der Architekt eigentlich entmündigt, sagt Hofstätter. Denn: "Der Bauträger lädt seine Architekten ein, die dann die Arbeit unter Aufsicht des Bauträgers machen müssen. So kann keine Architektur mehr entstehen, sondern maximal zweite Hand-Architektur."

Das sei aber nicht der Sinn von Architektur. Es müsse auch möglich sein, etwas auszuprobieren und die Regeln außen vor zu lassen. Michael Hofstätter verweist auf Le Corbusier, einer der bedeutendsten Architekten des 20. Jahrhunderts, der eine radikale Änderung der Architektur als logische Konsequenz auf die rasante technische Entwicklung forderte. "Heute könnte Le Corbusier aber kein Architekt mehr sein", sagt Hofstätter. Seine extravaganten Wohnanlagen, wie sie etwa in Marseille realisiert wurden, würden heute durch kein Regelwerk mehr kommen. Das zeige auch, dass die Architekten ihren Einfluss verloren haben.