Zum Hauptinhalt springen

Wer das Öl kontrolliert, kontrolliert das Land

Von Petra Ramsauer

Wirtschaft

Libyen ist in eine blutige Auseinandersetzung um die Macht verstrickt.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 11 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Tripolis. Wenn sich diese Woche die Opec-Ölminister in Wien treffen, wird eine andere Stadt mit im Fokus stehen: Tripolis, die Hauptstadt Libyens. Auf ein Zehntel sind die Exporte des wichtigsten Öl-Lieferanten Europas geschrumpft. An den Terminals, den Häfen und den Ölfeldern des nordafrikanischen Landes herrscht Ausnahmezustand: Seit dem Sommer werden sie von verschiedenen Gruppen besetzt oder bestreikt. Wer die Ölanlagen kontrolliert, kontrolliert Libyen. Und darum geht es in dem neu aufgeflammten Machtkampf, in dem sich - oberflächlich betrachtet - der liberale Premier Ali Zeidan wenigstens vorerst durchsetzen konnte.

Vor einer Woche schien es in Tripolis so, als gebe es gute Nachrichten über mehr Stabilität. Tödliche Schüsse waren in den Straßen immer seltener auszumachen. Nur noch die Folklore von Feuerwerken und Freudenfeuer hallten durch die nächtlichen Straßen. "Da darf man sich nicht trügen lassen", sagt Omar Ghumari, ein 42-jähriger Geschäftsmann, der mit seiner Frau Hana und seinen drei Töchtern im Zentrum Tripolis ein wenig spazieren geht. "Was wir erleben, ist nur eine Atempause. Die genießen wir. Schöpfen ein wenig Atem. Schauen aufs Meer, füttern Tauben."

Es werde aber wieder weitergehen, sagt Ghumari. Und das sehr bald. "Der eigentliche Kampf steht uns bevor. Es ging nie um die Kontrolle von Städten oder Posten. Es geht um Öl und sehr viel Geld."

"Wissen Sie", ergänzt seine Frau Hana, "ich erwache nachts nur noch, wenn sie mit diesen großen Waffen schießen. Mein Unterbewusstsein hat sich schon daran gewöhnt: daran, dass die nächste Schlacht in meiner Straße nur ein paar Sekunden entfernt ist."

Scheinruhe und die Rückkehr der Armee

Ghumari sollte recht behalten. Nach einer Woche Ruhe sind die lauten, bedrohlichen und tödlichen Schüsse wieder zurück, illustrieren die Zerbrechlichkeit der Ruhe. Es waren solche Waffen, mit denen die Kämpfer der Miliz "Schild Libyens" am 15. November in die Menge von friedlichen Demonstranten geschossen hatten. Diese hatten den Abzug der Milizen gefordert, und damit das Ende von Raubrittertum und Unsicherheit. 47 Menschen waren damals gestorben.

Seit dem Ende des Gaddafi-Regimes 2011 fehlt jegliche einigende Kraft in dem Staat, in dem Dutzende Rebellen-Milizen willkürlich herrschen. Doch mit einem Mal trat die Armee als ordnende Kraft auf und übernahm - wenigstens zeitweise - die Kontrolle in Tripolis. Ein überraschendes Comeback, wie viele meinen. Auch für ihre Vertreter selbst: Hassan el-Zeitan etwa tat schlicht nichts, als 2011 die Revolution begann. "Wir blieben in den Kasernen", behauptet er. "Und warteten ab."

Heute verfügt der 42-Jährige über ein Büro, in dem es noch nach dem frischen Leim der Furniermöbel und dem Kleber des anthrazitgrauen Teppichbodens riecht. Viel Glas, modernste Technik. In diesem Camp nahe dem internationalen Flughafen der Hauptstadt hat die Zukunft begonnen. Hier befindet sich der Sitz der Kommandozentrale der libyschen Nationalarmee. Hassan el-Zeitan ist ihr Sprecher: "Wir kriegen das jetzt hin. Wir können das Land unter Kontrolle bekommen", sagt er unerschrocken.

Ein bisher ungekanntes Selbstbewusstsein hat die wenige tausend Mann starke Rumpf-Armee aus der Ära Gaddafi erfasst. Im Zentrum Tripolis wird mit großem Pomp die Angelobung neuer Rekruten gefeiert. Die alte Hymne der Revolution ertönt: laut, wie eine Beschwörung. Etwas zu groß geraten Flaggen des neuen Libyens dominieren den Platz.

Vielen Libyern stößt es allerdings bitter auf, dass just die Truppen Gaddafis nun zu den Gralshütern des Aufstandes erkoren werden. "Niemals werde ich diesen Männern vertrauen", sagt Ahmed Salah bitter, als er argwöhnisch die Zeremonie verfolgt. Er war Mitglied der unter Gaddafi verbotenen Muslimbruderschaft. Dass eine starke Armee nun die Lösung aller Probleme sein sollte? "Da lache ich doch nur." Abwarten sollte man ein wenig. Denn noch würden "seine Leute", wie er sagt, das Ölministerium kontrollieren.

Aber er lacht verbissen. Je stärker die nationale Armee auftritt, desto mehr geraten die Milizen der Islamisten in die Defensive. Nicht nur in Tripolis, sondern auch in der Metropole des Ostens, Bengasi, sowie in der Stadt Derna, versucht die nationale libysche Armee mit einer militärischen Offensive die Kontrolle zu übernehmen. 250.000 Kämpfer, die um ihre Pfründe ringen, sind hier aktiv und ihre Gegner. Zu den mächtigsten zählt das "Schild Libyens", unter Kontrolle der islamistischen Muslimbruderschaft und die "Ansar al-Sharia", radikale Dschihadisten im Verband mit der Al-Kaida.

Muslimbrüder kontrollieren Ölministerium, Zentralbank

Islamistische Gruppen, vor allem der libysche Zweig der Muslimbruderschaft, haben zwar die Wahlen für das Übergangsparlament verloren, seither aber das Ölministerium unter ihre Kontrolle gebracht, wie auch die Zentralbank. Und sie haben seit Monaten hunderte Millionen von Euro in den Aufbau einer eigenen Parallelarmee gesteckt, der "Schild Libyens" ist die bislang mächtigste bewaffnete Gruppe. Dem steht Premierminister Ali Zeidan gegenüber, der einen Block von liberalen Geschäftsleuten und der Elite des späten Gaddafi-Regimes anführt.

Als im Sommer Streiks von Ölarbeitern begannen und die Förderanlagen lahmgelegt wurden, war dies nur der Anfang einer Auseinandersetzung um höhere Löhne. Bald waren alle Ölfelder und Terminals Libyens von verschiedenen Gruppen lahm gelegt worden. Unumwunden gaben nur die Führer der lokalen Milizen im Osten Libyens zu, worum es ging. Am 17. August kündigte die politische Führung des östlichen Teils des Landes, der Provinz Barqa - auch Cyrannaica genannt - an, sie würden ihre Anlagen besetzt halten, bis Vorwürfe der Korruption durch die neue Übergangsregierung in Tripolis geklärt sind.

Die Führer hier verlangen Autonomie und auch die eigenständige Kontrolle über die Ölanlagen, vor allem die Häfen. "Nennen wir das Problem doch bei seinem richtigen Namen: Die Muslimbrüder versuchen, sich des Öls zu bemächtigen. Das stoppen wir", sagt Sadiq Algaity, einer der Führer der Unabhängigkeitsbewegung des Ostens.

Fast alle Ölfelder und Häfen unter Kontrolle von Milizen

Eine Lösung schien bis dato nicht in Sicht. 130.000 Barrel Öl exportiert Libyen derzeit, manche Experten behaupten sogar, es seien nur noch 80.000. Im Vergleich dazu: Noch vor fünf Monaten waren es 1,4 Millionen Barrel. Der Atem der provisorisch bestellten Übergangsregierung hielt zwar lange: Es gab genug von dem Rohstoff in den Speichern, die Zahlungen für Lieferungen aus dem Frühling erreichten die Kassen. Doch nun geht dem Premier das Geld aus. Fast alle Ölfelder und Häfen sind derzeit unter der Kontrolle von regionalen Kämpfern - quasi in Geiselhaft.

Nun setzt Ali Zeidan und sein Liberalen-Block die Hoffnung auf die Armee: "Beendet alle Streiks und Blockaden. Sonst greifen wir ein", hieß es in einer Drohung des Oberkommandos der neu erstarkten libyschen Armee vergangenen Samstag: "Unser Land droht auseinanderzubrechen." Ob die jüngsten Offensiven dem Nachdruck verleihen, bleibt dahin gestellt. Noch verfügt die libysche Armee nur über wenige tausend Mann. Aber seit der Befreiung Tripolis wird die Wahrscheinlichkeit größer, dass zum ersten Mal seit dem Sturz Gaddafis, ausgerechnet dessen Armee das Land unter Kontrolle bringen könnte. Oder es wenigstens ernsthaft versucht.

(af) Die Opec (Organisation erdölexportierender Länder) wurde 1960 gegründet und verfügt heute über zwölf Mitglieder: Algerien, Angola, Nigeria, Libyen, Irak, Iran , Katar, Kuwait, Saudi-Arabien, Ecuador, Venezuela und die Vereinigten Arabischen Emirate. Halbjährlich treffen sich die Erdölminister in der Wiener Zentrale, um die Lage des Erdölmarktes zu beurteilen und gegebenenfalls Maßnahmen einzuleiten. Diese sollen den Ölmarkt stabil halten und die Gewinne für die Mitgliedsländer sicherstellen. Im Anschluss an die Ministerkonferenz werden die Richtlinien verkündet. Wichtig ist hierbei die Festlegung der Erdölförderquoten, die seit 1985 an die weltweit vorhandenen Reserven gekoppelt sind. Die Opec-Staaten produzieren rund 30 Mio. Fass Rohöl pro Tag, das ist ein Drittel des Gesamtverbrauchs auf dem Globus. Das einflussreichste Opec-Land ist Saudi-Arabien. Die weltgrößte Fördernation hat in den vergangenen Jahren regelmäßig für einen Ausgleich am Markt gesorgt, wenn Libyen, der Irak, der Iran oder Nigeria – die allesamt unter ihrer Kapazität produzieren – ausfielen. Riad fördert täglich rund 10 Mio. Barrel (je 159 Liter), das ist ein Drittel der OPEC-Gesamtmenge.