Gründungsdirektor Thomas Henzinger übergibt den Chefsessel des Institute of Science and Technology Austria. Eine Bilanz.
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Nach einer akademischen Karriere im Ausland kehrte der Informatiker Thomas Henzinger 2009 nach Österreich zurück, um die Führung des neugegründeten Institute of Science and Technology (Ista) im niederösterreichischen Klosterneuburg zu übernehmen, das damals eine grüne Wiese war. Heute steht da ein international renommiertes Spitzen-Institut mit 75 Forschungsgruppen und 1000 Mitarbeitern. Das Ista widmet sich der Grundlagenforschung in Naturwissenschaften, Mathematik und Informatik, hält die Rechte an resultierenden Entdeckungen und fördert deren Verwertung. Seit der Gründung erhält es eine langfristige Finanzierung durch das Land Niederösterreich und den Bund, die zuletzt von 2026 bis 2036 verlängert wurde. Maximal 3,28 Milliarden Euro werden nun zu 75 Prozent vom Bund und zu 25 Prozent vom Land investiert, die an die Einwerbung von Drittmitteln geknüpft sind. Ende des Jahres übergibt Henzinger den Ista-Chefsessel an den Molekularbiologen Martin Hetzer und widmet sich ganz der Forschung.
"Wiener Zeitung": Sie blicken auf 14 Jahre an der Spitze des Ista zurück. Worauf muss man achten, wenn man ein Top-Institut auf die grüne Wiese stellt, was waren die Meilensteine?
Thomas Henzinger: Es gab einen Entwicklungsplan, der unheimlich weitsichtig war und der den Ist-Zustand des Instituts beschreibt. Dass dieser Plan so gut war und dass wir uns an ihn gehalten haben, sind Erfolgsprinzipien. Wir haben uns, was Prozesse betrifft, an internationalen Spitzeninstituten orientiert und konsequent die besten Wissenschafter rekrutiert. Meine Hauptaufgabe sah ich darin, sicherzustellen, dass dieses Konzept nicht verwässert wird. Und natürlich hat man tausende kleine Entscheidungen zu treffen zu Personal oder Strukturen.
Wussten Sie, welche großen und kleinen Entscheidungen auf Sie zukommen würden, als Sie den Job übernahmen?
Hier gab es nichts. Wir gehörten zu keiner Uni und standen auf keiner Payroll, sondern waren wie ein unabhängiges Start-up. Das war ähnlich, wie wenn man ein Haus baut und sich nicht im Klaren ist, welche Vielzahl unterschiedlich gearteter Handlungsalternativen es gibt - wo die Lichtschalter hinkommen, wie groß die Fensterrahmen zu sein haben, wo die Leitungen liegen. Das sind Millionen von Entscheidungen!
Es gibt eine große Skepsis gegenüber den Wissenschaften in Österreich. Wohl auch deswegen ist es bemerkenswert, was gelungen ist. Wie haben Sie sich in diesem Umfeld der Vorbehalte gegen Forschung eigentlich getan?
Im Aufbau hatte Skepsis eine untergeordnete Rolle für uns, denn wir hatten die notwendige, langfristige finanzielle Unterstützung von Bund und Land. Aber die Frage wird in der Zukunft wichtig sein. Langfristig kann unser Institut nur Weltspitze bleiben, wenn es in der Bevölkerung einen Rückhalt hat. Wir sind lokal eingebettet und brauchen wissenschaftlichen Nachwuchs in Wien, das einer der kritischen Innovationsstandorte sein kann. In der Wissenschaftsvermittlung sind die Schulen am wichtigsten, da hier Themen zur Bedeutung von Forschung vermittelt werden.
Wie breit ist die Akzeptanz in der unmittelbaren Nachbarschaft?
In Klosterneuburg sind wir breit akzeptiert, auch weil wir Arbeitsplätze bringen. Aber es passiert mir, dass durchaus nicht bildungsferne Schichten noch nie von uns gehört haben. Natürlich ist das Ista kein Thema für das Fernsehen, aber vielleicht ist das auch besser so - immerhin konnten wir 14 Jahre lang in Ruhe arbeiten, gerade weil wir unter dem Radar standen. Aber es verwundert natürlich! Wenn man in Zürich mit dem Taxi zur ETH (Eidgenössisch-Technische Hochschule, Anm.) fährt, weiß jeder Taxifahrer, wo das ist. Aber die ETH ist 200 Jahre alt - vielleicht dauert es etwas, bis man es zu einem solchen Bekanntheitsgrad gebracht hat!
Wo befindet sich das Ista auf der Landkarte globaler Forschungsinstitute?
Wir haben jährlich 2.000 bis 3.000 Bewerber aus aller Welt, sind also inzwischen bekannt in unseren Fächern. Natürlich stehen wir nicht auf jedermanns Liste, aber wir stehen auf vielen Listen. Wenn jemand jedoch zugleich ein Angebot von der ETH Zürich oder der Universität Harvard hat, wird es freilich schwierig für uns, zu bestehen, nicht weil die besser sind, sondern weil sie den besseren Ruf haben. Das hatte ich unterschätzt. Es braucht, bis man so einen starken Ruf aufgebaut hat.
Am Anfang nannten Sie sich "Institute of Science and Technology", jetzt wieder Ista. Warum eigentlich?
Wir hatten eine große Diskussion zum Branding. In der Wissenschaftscommunity hatte sich der Name "Institute of Science and Technology" zwar gut etabliert, aber in der Politik nicht. Außerdem gibt es ein deutsches Institut, das so heißt.
Was waren die schwierigsten Momente, wo bedurfte es besonderer Hartnäckigkeit, damit Sie umsetzen konnten, was Sie wollten?
Es kommt darauf an, aber wenn Sie unser Verhältnis zu unseren öffentlichen Geldgebern ansprechen, war eines zentral: Jede Verhandlung ist harte Arbeit, in der man immer wieder darauf bestehen muss, dass wir ein Institut der Grundlagenforschung sind, welche sich durch ihre Ergebnisoffenheit definiert. Wenn man wüsste, was man in einem Jahr macht, wäre es ja nicht Grundlagenforschung! Unser strategischer Plan ist die Abwesenheit des strategischen Planens, und das ist nicht so leicht zu vermitteln. Der Nachteil von Strategieplänen ist, dass sie einander alle ein bisschen ähneln. Wenn wir also einen gemacht hätten, wäre alles hier ein bisschen dasselbe, fast so, als würde jeder dieselben Aktien kaufen. Das ist dann auch nicht gut für die Chancen, Gewinne zu machen. Wer der Herde folgt, ist meistens zu spät dran.
Spät dran sein kann man auch im Journalismus, man nennt das eine Geschichte verschlafen. Besser ist es, ein Gefühl dafür zu entwickeln, welche Geschichten kommen könnten. Welchem Gefühl folgen Sie in der Themensetzung?
Es ist sehr personenbezogen. Wenn ich mit Leuten rede, die sich für eine Forschungsstelle bewerben, habe ich manchmal das Gefühl, dass die etwas Tolles machen werden, egal, was sie tun. Und es ist tatsächlich egal, was es ist, auf diese Weise haben wir etwas mehr als 70 Professoren angestellt. Freilich waren wir auch überzeugt, dass sie die Leistung erbringen können. Hinzu kommt unser System, in dem 90 Prozent der Wissenschafter - die Post Docs - das Haus nach fünf Jahren verlassen müssen. Nur zehn Prozent sind Professoren, doch es ist nichts schädlicher, als Professoren intern zu berufen. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass sie tatsächlich die Besten sind, ist weniger hoch als die Wahrscheinlichkeit, dass man sie nimmt, weil man sie kennt. Zudem ist Mobilität auch für Wissenschafter in jungen Jahren besser als in späteren.
Über die charakterlichen Voraussetzungen, die Top-Forscher haben müssen, hört man immer wieder, dass sie "neugierig" zu sein hätten. Was heißt das eigentlich konkret?
Es gibt große Unterschiede zwischen den Wissenschaften. Als theoretischer Informatiker habe ich, glaube ich, wenig gemeinsam mit einem Mikrobiologen. Und ich würde nicht einmal sagen, dass Neugier die wichtigste oder dominanteste Eigenschaft ist. Vielmehr geht es darum, verstehen zu wollen, was dahinter liegt, herausfinden zu wollen, was geht, und zu schauen, ob es funktioniert. Dazu gehört eine gehörige Portion Beharrlichkeit, denn Wissenschaft hat ungeheuerliches Potenzial für Frustration. Sich am Ende des Jahres zu fragen, ob man jetzt mehr Rückschritt gemacht hat als Fortschritt, ist nichts Ungewöhnliches. Es braucht schon eine bestimmte Persönlichkeit, um Misserfolge auszuhalten. Aber wenn sich ein Erfolg einstellt, dann ist es großartig.
Welchen wissenschaftlichen Erfolg hatten Sie in letzter Zeit?
Ich arbeite mit einem Studenten an einem Thema und wir haben etwas gefunden, das wir für einen Durchbruch halten. Vorher hatten wir die Definition nicht richtig und kamen nicht weiter. Aber jetzt, da wir sie haben, sind die nächsten zehn Schritte leichter.
Worum geht es da konkret?
Ich will Sie nicht langweilen, aber wenn Sie fragen: Wir versuchen, zu beobachten, ob Programme bestimmte Eigenschaften erfüllen, um Entscheidungen treffen zu können. Wir schreiben eine Software, die überwacht, ob eine andere Software fair vorgeht, etwa bei der Vergabe von Kreditkarten. Unsere Software sendet ein Warnsignal, wenn diese Vorgänge diskriminierend ablaufen. Dazu benötigten wir eine Definition über bestimmte Eigenschaften von Output-Sequenzen. Und jetzt haben wir eine Definition gefunden, die vieles in den richtigen Platz fallen lässt. Das ist jetzt kein Zitationsweltmeister, aber die kleinen Erfolge sind so viel, denn jetzt können wir weitermachen. Und das Schöne ist, dass sich zehn weitere Probleme daraus ergeben.
Sie erleben den elften Wissenschaftsminister. Wie hat sich Ihrer Meinung nach die Forschungsförderung entwickelt?
Man kann nie genug machen, vor allem in einem inflationären wirtschaftlichen Umfeld. Es ist großartig, dass so etwas wie das Ista langfristig finanziert wird, und es bekamen auch der Wissenschaftsfonds FWF (Förderagentur für Grundlagenforschung, Anm.) und die Unis mehr, einmal abgesehen von der (laut Universitätenkonferenz unzureichenden) Inflationsabgeltung. Was in Österreich aber noch mehr beherzigt werden müsste, ist eines: Man konzentriert sich zu sehr auf angewandte Forschung und der Anteil der in der Grundlagenforschung kompetitiv vergebenen Mitteln ist zu klein.
Alles Gute zum Geburtstag! Sie sind noch jung: Was haben Sie sich für die nächsten 60 Jahre vorgenommen?
Ich habe 14 Jahre über nichts anderes nachgedacht als dieses Institut und will jetzt wirklich voll in die Forschung gehen. Ich werde ein halbes Jahr verschwinden zu einem Sabbatical an der Universität Stanford und dann wieder hierher zurückkommen als Professor. Ob es mich schmerzt, den Chefsessel zu räumen, werde ich sehen. Aber es ist wirklich Zeit - für mich und das Institut!
Zur Person~Thomas A. Henzinger, geboren am 8. Dezember 1962 in Linz, ist Informatiker. Er ist bis Ende dieses Jahres erster Präsident des Institute of Science and Technology Austria (Ista). Henzinger studierte Informatik an der Universität Linz. 1991 promovierte er an der Universität Stanford. Er war Professor an der Universität Berkeley, Direktor am Max-Planck-Institut für Informatik und Professor für Computer Sciences an der EPFL in Lausanne.