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Wer die vielen Pflegefälle betreut

Von Stefan Beig

Politik
Migration und Gesundheit sind das Forschungsfeld von Karl-Trummer und Novak-Zezula.
© © Stanislav Jenis

"Uns erwartet ein europaweiter Wettkampf um Pflegekräfte."


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Wien. Über den "Alptraum Pflege" wollte jüngst die deutsche TV-Moderatorin Anne Will in ihrer ARD-Sendung diskutieren. Unversehens wurde dabei die Sendung selbst zum Alptraum. Barbara Scheel, die 71-jährige Frau des deutschen Altbundespräsidenten Walter Scheel, sorgte gleich zu Beginn für einen Eklat. "In dem Pflegeheim, von dem ich rede, ist jeder Zweite Ausländer und spricht kaum Deutsch", beschwerte sie sich. "Wir haben einen schwarzen Afrikaner, so wie ich ein weißer Europäer bin, und wir haben 90-jährige Frauen, die sollen sich intim von so einem Menschen pflegen lassen. Die haben erst mal einen Schock." Auch nach erstauntem Nachfragen der Moderatorin zog Barbara Scheel ihre Aussage nicht zurück.

Die Suche nach ausländischen Pflegekräften begann in Österreich schon in den 70er Jahren. Damals wurden 400 Pflegerinnen von den Philippinen hergeholt. Eine eigene Delegation ist zur Anwerbung nach China gereist. Weil immer mehr Personen immer älter werden und sich die Pflegefälle damit häufen, steigt auch der Bedarf an Pflegekräften. Europa holt sich diese Pfleger aus dem Ausland. Ein Trend, der sich in den nächsten Jahren nicht ändern wird. Im Gegenteil: Einen Wettbewerb um neue Pflegekräfte innerhalb der EU kündigt die Leiterin des Center for Health and Migration Ursula Karl-Trummer an: "Ohne Zuwanderung werden uns bis zum Jahr 2020 eine Million Gesundheitsfachkräfte fehlen." Dazu gehören Pfleger, Ärzte und Therapeuten.

"Länder mit attraktiven Bedingungen werden erfolgreicher sein", betont Karl-Trummers Kollegin Sonja Novak-Zezula. Je attraktiver die Arbeitsplätze, umso größer die Aussichten auf Erfolg. In Deutschland werden etwa schon Karrierepläne für Pflegekräfte bei Job-Beginn entwickelt. "Das fehlt bei uns", sagt Ursula Karl-Trummer.

Eine wichtige Motivation um nach Österreich zu kommen, sei die soziale Absicherung, berichtet Karl-Trummer. Manche Pflegekräfte kommen deshalb auch von sich aus nach Österreich. Durchaus gelobt würden auch die Anstellungsbedingungen hier, erzählt Karl-Trummer, die sich gemeinsam mit Novak-Zezula beim Center for Health and Migration speziell den Forschungsfragen von Gesundheit und Migration widmet, einem Bereich, für den es erst wenige Studien gibt. Karl-Trummer hat zum Beispiel 42 Interviews mit Pflegekräften, die Migrationshintergrund haben, durchgeführt.

Für Pflegekräfte aus den angrenzenden Ländern ist auch die geographische Nähe ein Grund. "Warum Österreich? Erstens, weil es das Nachbarland ist, ganz in der Nähe von Bratislava", erzählt eine slowakische Pflegerin. "Meine Heimat ist für mich alles. Ich muss einfach einmal pro Monat in die Slowakei fahren und meine Mutter besuchen."

Unter den Pflegekräften sind besonders viele Slowakinnen, wie Stichproben ergeben haben. Offizielle Zahlen zum Migrationshintergrund der Pflegekräfte gibt es nicht. "Viele Pflegekräfte kommen aus den umliegenden Ländern", betont Novak-Zezula. "So können sie nämlich über das Wochenende nach Hause." Das betrifft vor allem die 24-Stunden-Betreuung, die mit herkömmlicher Pflege nicht zu verwechseln ist: Vereine und Firmen vermitteln mittlerweile Pflegekräfte in private Hausehalte, wo diese dann zwei Wochen lang bleiben. "Das ist ein sehr isolierter Arbeitsbereich", sagt Novak-Zezula. Ein bis zwei Stunden pro Tag haben Betreuungspersonen für sich selbst, die restliche Zeit müssen sie verfügbar sein.

Zum Teil auch unterfordert

Eine große Gruppe der Pflegerinnen kommt auch aus Ex-Jugoslawien, ein kleinerer Teil aus afrikanischen Ländern und Indien. Ein häufiges Problem ist - wie in so vielen Berufsfeldern - die zu niedrige Einstufung: Schwierigkeiten bei der Nostrifizierung - der Anerkennung ausländischer Diplome - gehören zum Alltag. Zum Teil gibt es dafür aber einen sehr spezifischen Grund: In Österreich sind Pflege und Arzt-Tätigkeit klar getrennt, in anderen Ländern nicht.

"Manche bringen das Wissen von Turnus-Ärzten mit, können es aber nicht anwenden", berichtet Karl-Trummer. Einige Pflegekräfte seien hochqualifiziert und litten besonders darunter, das in ihrer Arbeit nicht einsetzen zu können. "Ich habe das Gefühl, meine Hände sind mir gebunden", berichtet eine Krankenschwester. "Ich könnte nicht mehr in mein Land zurückkehren, weil ich dort nicht mehr das tun könnte, was ich gelernt habe." Auch Erfahrungen mit Diskriminierung machen Pflegekräfte, allerdings weniger vonseiten ihrer Arbeitskollegen als eher der Patienten und ihrer Angehörigen. "Viele haben das Gefühl, dass sie nicht ernst genommen worden sind. Er wird ihnen nichts zugetraut", berichtet Sonja Novak-Zezula.

Kulturelle Differenzen, etwa ein anderes Verständnis von Höflichkeit, sorgen für Missverständnisse. "Auf beiden Seiten fehlt oft die Sensibilität", meint Karl-Trummer. Besonders problematisch seien solche Schwierigkeiten für Ärzte im psychiatrischen Bereich, wo die Sprache das wesentliche Arbeitsmittel ist.

Von den Chancen von Vielfalt an den Spitälern sind beide Wissenschafterinnen aber überzeugt. Einen Austausch an Kenntnissen und Ausbildungen mit verschiedenen Schwerpunkten empfiehlt Sonja Novak-Zezula. Einen weniger defizitorientierten Blick, der mehr auf die Ressourcen schaut und mehr anerkennend als abwertend ist, empfiehlt Ursula Karl-Trummer.