Adamovich und Korinek über die Arbeit eines Höchstgerichtshofs.
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Wien. Wie frei können Höchstrichter entscheiden, wenn Medien und Politik rund herum Untergangsszenarien für Euro und Europa durchdeklinieren? Welche Rolle spielen die Abwägungen solcher politischer Folgekosten im Vergleich zur streng juristischen Prüfung eines Gesetzes?
Das mit dem Druck sei gar nicht so schlimm, finden jedenfalls die beiden ehemaligen Präsidenten des österreichischen Verfassungsgerichtshofs, Ludwig Adamovich (1984-2002) und Karl Korinek (2003-2008) im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". "Wer damit nicht umgehen kann, ist als Verfassungsrichter fehl am Platz", ist Korinek überzeugt, und für Adamovich gehört "Druck ganz einfach zu einem Gericht dieser Art". Allerdings: "Ein Verfassungsgericht darf niemals in die Situation geraten, dass es seine Entscheidung an die Stelle der Politik setzt. Sind sich die Richter dessen bewusst, ist auch der Druck nicht mehr so stark", empfiehlt Korinek juristische Selbstbeschränkung.
Und die Freiheit der Entscheidung angesichts dessen, was möglicherweise auf dem Spiel steht? "Kein Verfassungsgericht dieser Welt ist blind für die politischen Folgen seiner Urteile", so Adamovich, dies habe allerdings seine Grenzen dort, wo die Judikatur der vergangenen Jahre bereits einen bestimmten Weg vorgezeichnet habe, der nicht einfach wieder abgeändert werden könne, die Urteile müssten schon zusammenpassen. "Doch dort", so Adamovich, "wo man streiten kann, wird man sich in aller Regel bemühen, kein allzu großes Unheil durch ein Urteil anzurichten." Wenn aber doch einmal von der bisherigen Rechtsprechung abgewichen werde, so müsse dies sehr gut begründet werden.
In der Euro-Krise versucht die Politik, sich auf Lösungsansätze zu verständigen. Was aber, wenn Kompromisse vernünftig sind, aber den Boden des Rechtsrahmens verlassen? Korinek hält eine solche Konstellation für eine absolute Ausnahme, denn "die allermeisten Verfassungen sorgen dafür, dass mehr als nur eine einzige Lösung im Rahmen des Möglichen bleibt". Allenfalls konzediert Korinek hier ein menschliches Problem für den einzelnen Richter: "Man muss sich bis ins Detail in die Materie einarbeiten, um die Zusammenhänge zu verstehen; bei der Entscheidung darf jedoch die persönliche Überzeugung keine Rolle mehr spielen, sondern allein die Frage, ob die Lösung dem Verfassungsrahmen entspricht. Das ist oft schwierig."
Sprengt eine Lösung den Rahmen, so führt für Korinek kein Weg daran vorbei, dass die Politik die Verfassung ändert. "Das darf man nie vermischen: Die Richter entscheiden nicht über den Euro, sondern nur über die Verfassungsmäßigkeit einer bestimmten Lösung." Nicht zuletzt deshalb war Korinek stets skeptisch, was allzu ausführliche schriftliche Urteilsbegründungen angeht, da diese ein Gericht für die Zukunft binde. Im Unterschied zum österreichischen VfGH habe Karlsruhe stets inhaltlicher argumentiert, was nun natürlich nachwirke. Damit werde der Politik jedoch eine Richtung vorgegeben, was für Korinek mit der Gewaltenteilung kollidiert.
Im Zuge der Entscheidungsfindung werden die möglichen Folgen eines Urteils von den Richtern offen diskutiert, klärt Adamovich über die internen Gepflogenheiten auf. Der Forderung nach öffentlichen Beratungen, um Transparenz zu gewährleisten, steht er skeptisch gegenüber: Zu groß sei das Risiko, dass die Freiheit der Willensbildung und Argumentation gestört werde.