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Die US-Präsidentschaftswahlen werden sich hauptsächlich in vier Bundesstaaten entscheiden. Ein Blick auf deren geographische, strukturelle und demographische Gegebenheiten.
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270 ist die magische Zahl, denn genau so viele Wahl-Männer und -Frauen ("electors") braucht ein Kandidat, um US-Präsident zu werden. Entschieden wird die Wahl höchstwahrscheinlich in den vier Staaten Virginia, North Carolina, Florida und Ohio, denn nur dort stehen noch größere Wählerkontingente zur Disposition. Alle anderen Bundesstaaten sind quasi bereits vergeben. Das heißt, dort haben laut Umfragen entweder Obama oder Romney eindeutige Mehrheiten und können somit den gesamten Staat und damit jeweils alle seine Wahlmänner auf sich verbuchen. Aufgrund der größeren Bevölkerungszahl im Norden und entlang der Küsten, wo die Demokraten traditionell stark sind, hat Obama mehr Kombinationsmöglichkeiten als Romney, um auf 270 zu kommen.
Nördlicher Speckgürtel
Wenige Wochen vor der Wahl geben die Umfragen in diesen vier Swing States Obama einen berechtigten Anlass zu Optimismus. Zwar zählen auch Virginia und North Carolina geographisch und geschichtlich zu den Südstaaten. Doch der nördliche Speckgürtel um Washington DC mit seinen Hightech-Firmen, Konzernzentralen und neuen Trabantenstädten, in denen Millionen Staatsbeamte und hochausgebildete Fachkräfte wohnen, tickt politisch anders als der religiös-konservative Süden.
Chancen hat Romney in Virginia nur, wenn es ihm gelingt, die ebenfalls große Anzahl an Militärpersonal und Veteranen für sich zu mobilisieren. Immerhin befindet sich in Norfolk, Virginia die größte Flottenbasis der USA. Ebenso wie Virginia, seinerzeit das politische Zentrum des alten Südens, zählt auch das benachbarte North Carolina zum alten "Bible-Belt", gilt aber dennoch als relativ Obama-freundliches Territorium wegen des hohen Anteils der dort ansässigen schwarzen Bevölkerung (22 Prozent, zum Vergleich zu 13 Prozent im Rest der USA).
Im selben Staat befinden sich in einer "Research Triangle" genannten Region um die Universitätsstädte Raleigh-Durham-Chapel Hill auch einige der besten US-Universitäten sowie hunderte mit den Forschungsstätten verbundene High-Tech-Firmen. Die mehr als zwei Millionen starke Bevölkerung dieser Region hat kulturell mit dem alten Süden nicht mehr so viel gemeinsam, dass sich ein Republikaner automatisch einer Mehrheit sicher sein könnte. Je nach Wahlbeteiligung dieser Bevölkerungsgruppen könnte es Obama durchaus gelingen, North Carolina in seinem Sinne umzudrehen und Romney somit die Chancen auf den Gesamtsieg zu verwehren.
Ein besonders komplexer Fall ist Florida, dessen Norden eindeutig zum sogenannten "Bible-Belt" zählt und strukturell durchaus den klassischen konservativen Südstaaten entspricht, welche in den USA als "Deep South" bezeichnet werden. Fährt man jedoch die Küste entlang weiter nach Süden, so ändert sich die politische Landkarte schlagartig, indem man dort auf Kolonien sogenannter "Snow-Birds" trifft. Darunter versteht man aus dem Norden zugezogene ältere Bevölkerungsgruppen, die aufgrund des milden Klimas in Florida ihren Lebensabend verbringen. Traditionell wählen viele von ihnen die Demokraten, da man diese als die besseren Garanten des staatlichen Pensionssystems (ein)schätzt, von dem beinahe 80 Prozent der Überfünfundsechzigjährigen abhängen.
Besonders wichtig sind in dieser Hinsicht die gutorgansierten und auch spendenfreudigen jüdischen Bevölkerungsenklaven, die zwar traditionell im demokratischen Lager stehen, jedoch durch Obamas relative Kühle gegenüber Israel gewisse Absetzungstendenzen in Richtung Republikaner verspüren könnten.
Fährt man wieder landeinwärts, so ändert Florida seinen Charakter und man stößt auf intensive agrarische Bewirtschaftung. Es ist unter anderem das Zentrum des Zitrusfruchtanbaus der USA. Wie alle landwirtschaftlichen Gebiete ist auch diese Region eher konservativ und gilt als Romney-freundliches Territorium.
Wieder an der Küste, gelangt man in die liberalen Metropolen, in denen man auf ein buntes Gemisch aus urbaner Lebensfreude, aber auch auf bittere Armut trifft. In solchen tristen Verhältnissen leben besonders viele Immigranten und Minderheiten, die durch die starke Rezession am Immobilienmarkt und den besonders in Florida weitgehend fehlenden Sozialstaat noch stärker leiden als anderswo.
Unter den Latinos, die eher demokratisch votieren, bildet die starke und auch wirtschaftlich erfolgreiche Gruppe der Exil-Kubaner die einzige Ausnahme, sind diese doch eng mit der republikanischen Partei verbunden. Einer der Ihren, der ultrakonservative Politiker Marco Rubio, ist einer der beiden Senatoren des Staates und galt lange als heißer Tipp für das Vizepräsidentenamt unter Romney.
Spezialfall Ohio
Ganz anders verhält es sich im großen Flächenindustriestaat Ohio. Dort sind die Nachfahren deutscher, polnischer, slowakischer und slowenischer Einwanderer kulturell eher konservativ und patriotisch eingestellt. Die Gegend zählt seit geraumer Zeit zum sogenannten Rostgürtel, leidet unter Überalterung, Bevölkerungsschwund und einer veralteten Infrastruktur. Die ehemals blühenden Großstädte beherbergen heute vielfach Industrieruinen und verlassene und verfallende Wohnhäuser.
Der gesamten Region haftet das Image eines hässlichen, rückständigen Landstriches mit einer ebenso wenig attraktiven Bevölkerung mit teilweise unappetitlichen Einstellungen an. Obwohl auch dies ein klischeehaftes Zerrbild ist, wirkt aus Sicht der liberalen Küstenregionen der Industriegürtel des Mittleren Westens wie ein Hort nationalistischer, bigott-religiöser und traditionalistischer Wählereinstellungen, wo Vorurteile gegen Minderheiten, Homosexuelle und Andersdenkende blühen.
Dennoch ist diese Region (im Gegensatz zum Süden) für die Demokraten unverzichtbar, denn dort spielen die sonst so schwachen US-Gewerkschaften noch eine wichtige Rolle. Allerdings konnte sich selbst zu Zeiten kollektiver "Obama-Mania" die dortige Arbeiterbevölkerung nie so richtig für den scheinbaren Exoten erwärmen, den ihnen ihre Partei als Kandidat vorsetzte. Biographisch und kulturell ist der Hawaiianer mit arabischem Vornamen und Sohn eines afrikanischen Vaters für die gestandenen Arbeiterschichten in den Vor- und Kleinstädten Ohios einfach zu weit weg, um wirklich ein Zusammengehörigkeitsgefühl aufkommen zu lassen.
Obama meinte damals verbittert, dass sich die Menschen dort wegen der Hoffnungslosigkeit ihrer Situation nur noch an Gott und ihre Gewehre klammern und quasi deshalb so zurückgeblieben seien. Daraufhin hagelte es ob dieser "typischen Arroganz" eines Mitglieds der "liberalen Elite" von überall her Kritik. Erst die Nominierung Joe Bidens als Vizepräsident, der ebenfalls dem weißen Arbeitermilieu entstammte, half Obama damals, die Situation zu entkrampfen.
Obwohl auch der Multimillionär Romney in Arbeiterkreisen als unpopulär gilt, kann sich der demokratische Präsident der weißen Arbeiterschaft in Ohio und anderswo auch heute nicht sicher sein. Nur Obamas Kampagne an negativer TV-Werbung, die Romney seit Monaten als eiskalten und abgehobenen Unternehmertypen zeigt, bietet dem amtierenden Präsidenten überhaupt eine Chance, seinem Gegner einen Sieg in Ohio streitig zu machen.
Abgesehen von diversen Fettnäpfchen und seiner nicht gerade magnetischen Persönlichkeit laboriert der republikanische Herausforderer an zwei strukturellen Problemen, die ihm nachhaltig zu schaden drohen. Zum einen gelang es Obama, seinen Herausforderer negativ zu definieren, bevor sich jener noch der Wählerschaft entsprechend empfehlen konnte. Das erklärt auch Romneys ungewöhnlich negative Bewertung als Person, unabhängig von der Einschätzung seiner Fähigkeiten als Politiker.
Romneys zweites Problem ist, dass er zur Sicherung seines Vorwahlerfolges so weit nach rechts ausscheren musste, dass er nun kaum ins politische Zentrum zurück kann, um dort Obama die Mehrheit der Wähler streitig zu machen. Tut er es dennoch, revoltiert die republikanische Basis und sieht sich in ihrem Verdacht bestätigt, dass Romney ohnehin nur ein sogenannter "RINO" ("Republican in name only") wäre.
Romneys TV-Erfolg
Romney hat sich mit seiner Leistung bei der ersten TV-Debatte allerdings selbst sehr geholfen. Zwar blieben "game changing moments", wie es so schön heißt, aus, nur wirkte der Republikaner vom ersten Moment an selbstsicherer und diesmal auch sympathischer als der Mann im Weißen Haus. Obama hingegen schien etwas genervt, setzte eine säuerliche Miene auf und starrte phasenweise vor sich auf den Boden und nicht - so wie Romney - direkt in die Kamera.
Romney erwies sich auch als Meister der Fakten, verstand es aber dennoch, seinen eher reichen-freundlichen Steuerplan so volksnah und triftig als Rettungsanker für Kleinunternehmer zu erklären, dass Obamas Kritik daran wie eine populistische Kleingeldmache abprallte. Romney profitiert jetzt auch von den heruntergeschraubten Erwartungen und der weitverbreiteten Meinung, dass er fehleranfällig sei und bei Auftritten steif und unsympathisch wirke. Das alles ist für den Präsidenten wenig erfreulich, sind Debatten doch immer in erster Linie hilfreich für den Herausforderer, der sich erstmals mit dem Amtsinhaber auf Augenhöhe messen kann und dadurch automatisch aufgewertet wird.
Die Aufgabe des Amtsinhabers dagegen sollte sein, seinen Kontrahenten möglichst als Leichtgewicht und unpräsidentenhaft aussehen zu lassen, was Obama eindeutig nicht gelang. Zusätzlich zu einem vor kurzen aufgetauchten Video, in dem auch Obama allzu frei von der Leber weg über seine Ansichten plaudert, könnte die gegenwärtige Dynamik seine Wahlkampagne bremsen.
Reinhard Heinisch, geboren 1963 in Klagenfurt, war viele Jahre lang Professor für Political Science an der University of Pittsburgh und ist seit 2009 Professor für Politikwissenschaft an der Universität Salzburg.