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Wer gesund ist - das entscheidet Google

Von Eva Stanzl

Wissen

Google dringt bis in den Körper vor: Im bisher größten Biomarker-Projekt will der Suchmaschinen-Konzern Zellmuster für Gesundheit und Krankheit herausfiltern. Ein Standard für gesund und krank könnte entstehen.


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Mountain View/Wien. Google macht vor keiner Grenze halt. Im Zuge seines jüngsten Projekts will der US-Suchmaschinenkonzern den menschlichen Körper erobern. "Baseline Study" heiß der Plan des Innovationslabors Google X, genetische und molekulare Daten von Tausenden Menschen zu sammeln, wie das Unternehmen diese Woche bekannt gab.

Das Projekt beginnt im Sommer mit einer Pilotstudie an 175 Testpersonen. Google X erfasst Informationen zu Biochemikalien, Proteinen und genetischen Mutationen, die mit der Gesundheit und der Entstehung von Krankheiten zu tun haben. Danach erfassen Forscher der Duke University in Durham und des Stanford Medical Center in Palo Alto, Kalifornien, die Daten von weiteren 10.000 Freiwilligen, gesund oder krank.

Proben und Kontaktlinsen

Die Laufzeit soll fünf Jahre betragen. Gemäß dem Studiendesign liefern die Testpersonen Blut-, Plasma-, Speichel- und Urinproben und tragen (ebenfalls von Google X entwickelte) medizinische Kontaktlinsen, die den Blutzuckergehalt in der Tränenflüssigkeit messen (die "Wiener Zeitung" berichtete). Ziel ist ein Gesamtbild dessen, was einen gesunden Menschen idealerweise ausmachen sollte. "Wie bei jedem komplexen System müssen wir auch hier proaktiv an Probleme herangehen", erklärt Andrew Conrad, Forschungschef für Life Sciences bei Google X, im "Wall Street Journal: "Das allein ist aber noch nicht revolutionär. Vielmehr müssen wir fragen: Was genau müssten wir wissen, um wirklich proaktiv sein zu können? Wir müssen den Maßstab kennen, dem eine Sache folgt, wenn sie gut läuft."

Das Argument ist logisch, wäre nicht der Gedankensprung vom neuen "Maßstab" für Gesundheit zum Normdenken des Nationalsozialismus ein kleiner. So gesehen erinnern die Thesen der Fortschrittsbegeisterten am Pazifik an eine Art "gesunden Geist in einem gesunden Körper" made in the USA. Doch abgesehen von diesem erklärten Ziel - was ist an der Sache radikal? Immerhin handelt es sich um nichts anderes als eine weitere Biobank, wie sie weltweit zu Hunderten, auch hierzulande in Graz, existieren.

Anders als viele andere Biobanken beschränkt sich Googles "Baseline Study" nicht auf spezifische Erkrankungen, sondern sammelt Proben aller Art, um daraus Muster (Biomarker) herauszufiltern. In den Mustern wollen die Forscher neue und vor allem frühere Anzeichen von Krankheiten erkennen, um sie effektiver abzuwehren. Etwa könnte es Biomarker geben, die manche Menschen fetthaltige Nahrung besser abbauen lässt, sodass sie nie unter einem hohen Cholesterinspiegel leiden. Wer schon früh herausfindet, dass er diese Enzyme nicht in sich trägt, könnte rechtzeitig seinen Lebensstil ändern.

Im Unterschied zu bisherigen Studien verfügt Google X zudem über "Rechnerkapazitäten wie kaum jemand. Es kann eine Biobank viel größer aufziehen als andere Gruppen", erklärt Robert Califf, Kardiologe an der Duke University, im Fachmagazin "Science". Denn der Suchmaschinenkonzern besitzt das weltgrößte Computer- und Datennetzwerk für schnelle Online-Abfragen und datenintensive Video-Plattformen wie YouTube. Solche Kapazitäten machen es ein Leichtes, medizinische Informationen zu speichern - anonymisiert, wie der Konzern verspricht. Neue Normen für physiologische Gesundheit sind laut Califf systemimmanent: Etwa könnte die 24-Stunden-Überwachung des Herzschlags über lange Zeit ganz neue Kenngrößen zur Vorhersage von Schlaganfällen bringen. "Physiologische Echtzeit-Messungen wurden noch nie auf diese Art und Weise mit der Biologie des Menschen zusammengespannt", betont er. Lange war diese Forschung zu teuer gewesen. Doch bei Kosten noch 1000 Dollar für die Sequenzierung des gesamten menschlichen Genoms scheint das Projekt wie gemacht für Google X.

Marktanteile winken

Das Innovationslabor konzentriert sich auf Hochrisiko-Forschung mit geringen Chancen auf Umsetzung, aber Sprengkraft bei Erfolg. "Captain of Moonshots" steht als Berufsbezeichnung auf Astro Tellers gläserner Visitenkarte. Der wissenschaftliche Leiter von Google X strebt Innovationen an, die so bahnbrechend sind wie der erste Flug zum Mond. Zu den "Moonshots" des klandestinen Labors, das nicht einmal durch ein Türschild auffällt, zählen selbstfahrende Autos, Google Glass - jene Brille, die Computer, Internetzugang und Kamera in einem ist - Internet auf Heißluftballons und Skateboards, die schweben.

Google X widmet sich der Erforschung ungewöhnlicher Lösungen für globale Probleme von Millionen, oder besser noch Milliarden von Menschen. Um echte Lösungen zu finden, werden radikale Ideen radikal geprüft: Scheitern ist hier eine Tugend. Teller beschreibt sein Labor als "Experiment in sich, das das Forschungslabor neu konfiguriert: Wir entwickeln Ideen, von denen wir nicht wissen, ob sie genial sind oder närrisch."

Eines ist sicher genial. Google ist unvorstellbar reich und übt enormen Einfluss aus in einer Zeit der Netzwerke und Speicher. Kleine Firmen haben nicht das Geld für radikale Innovationen, Großkonzerne fürchten ihre Aktionäre und Regierungen meinen, es gebe zu wenig Geld. Warum also nicht die Kapazitäten einer Suchmaschine in Google X bündeln? Marktanteile winken: Für die Gesundheitsindustrie erwarten die US-Berater der Freedonia Group einen Wert von unvorstellbaren 10,8 Trillionen Dollar im Jahr 2017.