Viele Räder stünden still, sollten sie einmal die Lust verlieren: Jene gut 100 Millionen Europäer, die ohne Bezahlung das Leben ihrer Mitmenschen bereichern. Die EU hat gleich zwei gute Gründe, 2011 zum "Europäischen Jahr des Ehrenamtes" zu erklären: Der Altruismus hat sich im Zeitalter der Ich-AGs entgegen allen Prognosen gut behauptet. Und er kostet die Staaten nicht nur nichts, er spart auch viele Milliarden Euro. | Müsste man allein in Österreich den Freiwilligen ihre Arbeit vergüten, wären 440.000 Vollzeit-Arbeitsplätze einzurichten. Da erscheint es höchst angebracht, dass die Politik den Hut zieht und auf allen Geigen spielt: "Die Freiwilligentätigkeit stellt eine bereichernde Lernerfahrung dar, ermöglicht den Erwerb sozialer Fertigkeiten und Kompetenzen und trägt zur Solidarität bei", heißt es in Begleitpapieren zum Jubeljahr. Und Viviane Reding, EU-Kommissarin für Justiz, Grundrechte und Unionsbürgerschaft, bedankt sich artig beim Volk, dass sich so viel Freizeit nimmt, um "unsere Welt lebenswerter zu machen".
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 13 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Trotzdem ist eine Strukturschwäche der Freiwilligkeit kaum zu übersehen: Aus der Topografie der Ehrenämter ragen Kultur, Sport, Gesundheit, Religion, Feuerwehr und Rettung statistisch heraus. Politisches Engagement hingegen fehlt in den Aufzählungen nahezu vollständig.
Am häufigsten wird die "Agenda 21" genannt, ein Weltverbesserungsprojekt der UNO. Es wurde vor bald 20 Jahren ins Leben gerufen, um die Weisheit der Massen vor Ort in den Kommunen für die Politik zu gewinnen. Die von ganz oben kommende Initiative hat einige stolze Vorzeigeprojekte hervorgebracht. Ein Massenphänomen ist nicht daraus geworden.
Auch plebiszitäre Experimente wie zum Beispiel "Bürgergutachten", die über simple Befragungen hinausgehen, indem sie Bürger zu bestimmten Themen ernsthaft und intensiv einbinden, haben Seltenheitswert. Neue Initiativen im Internet (Stichwort E-Partizipation) werden wohl noch eine Weile brauchen, bis sie bemerkt werden.
Politik ist zwar allgegenwärtig, aber nicht populär. Die Arbeit, die in politischem Engagement steckt, wird höchstens im historischen Rückblick als gesellschaftliche Bereicherung wahrgenommen. Zu ihren Lebzeiten standen die unbezahlten Vorkämpfer für die Pressefreiheit oder das Frauenwahlrecht vermutlich auch nicht auf einer Beliebtheitsstufe mit barmherzigen Samaritern.
Zum einen verheißt politisches Engagement auch an der Basis nichts anderes als das Bohren dicker Bretter, ist der Verzweiflung also näher als dem Triumph. Zum anderen stehen die Freiwilligen einem hermetischen Politikbetrieb gegenüber, der auf Fragen der Mitbestimmung oft genug bloß rhetorisch antwortet. So bleibt das wichtigste Denkmal, das die Demokratie ihren Freiwilligen derzeit setzen könnte, jenes des unbekannten Demonstranten.