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Wer ist schuld?

Von Georg Cavallar

Gastkommentare
Georg Cavallar ist AHS-Lehrer, Dozent für Neuere Geschichte, Buchautor und Lehrbeauftragter an der Universität Wien.
© privat

Schuldzuweisungen sind derzeit beliebt, bringen aber wenig - außer eine unnötige Moralisierung der Debatte rund um die vierte Corona-Welle.


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Seit Montag gibt es einen Lockdown für Ungeimpfte. Innerhalb von 24 Stunden wurden zuletzt mehr als 13.000 Infektionen gemeldet, immer mehr Operationen werden verschoben. Viele ergehen sich nun in Schuldzuweisungen an die üblichen Verdächtigen:

die Impfverweigerer und -gegner, die fortwährend weitere Verschärfungen notwendig machen;

die Bundesregierung und ihr schlechtes Krisenmanagement, ihre schlechte Planung und die mangehafte Kommunikation mit der Bevölkerung;

die Landeshauptleute, die den Föderalismus ad absurdum führen;

eine skeptische bis verantwortungslose, naive und wissenschaftsfeindliche Bevölkerung ("Mir wird schon nichts passieren"; "Die anderen sollen sich zuerst impfen lassen" etc.);

die Expertinnen und Experten, die sich auf keine Fachmeinung einigen können;

Herbert Kickl und die FPÖ, die sich nach wie vor gegen einen "Impfzwang" aussprechen.

Schuldzuweisungen sind in dieser angespannten Situation verständlich, aber unsinnig. Erstens gibt es ein sachliches Argument: Ein ganzes Bündel an möglichen Faktoren ist für die jetzige Lage anzuführen. In einer modernen, komplexen Gesellschaft gibt es zu viele Akteurinnen und Akteure, als dass Ereignisse monokausal auf eine Person, eine Gruppe, einzelne Maßnahmen oder nur eine Ursache zurückgeführt werden könnten. Zweitens spricht gegen Schuldzuweisungen ein politisches Argument. Sie fördern Feindbilder, das Denken in Schwarz-Weiß-Kategorien, eine unnötige Moralisierung und eine weitere Spaltung der Gesellschaft.

Ja, es gibt auch persönliches Fehlverhalten oder Fehler von einzelnen Personen. Es wäre die Frage zu stellen, ob Politiker und Politikerinnen, die wiederholt die Gefährlichkeit von Covid-19 oder anerkannte wissenschaftliche Forschung in Frage stellen, nicht geklagt werden sollten. Vor Gericht könnte dann geklärt werden, was als "anerkannte wissenschaftliche Forschung" gilt. Inkompetenz in der Politik hingegen ist nicht strafbar. Dagegen ist in einem Staat, in dem nicht unbedingt die Fähigsten, sondern zu oft jene mit dem richtigen Parteibuch und den richtigen Beziehungen nach oben kommen, wohl kein Kraut gewachsen.

Irgendwie ernüchternd: Viele Impfskeptiker und -gegner reagieren offensichtlich erst, wenn sie mit massiven Nachteilen konfrontiert werden und die "gefühlte Unfreiheit" gar nicht mehr so wichtig ist. Viele müssen offensichtlich wie kleine Kinder an der Hand genommen werden, denen man gut zuredet, sich doch impfen zu lassen.

Immerhin diskutieren wir nicht mehr darüber, ob die Covid-19-Pandemie mit einer leichten oder doch eher einer schweren Grippewelle verglichen werden kann - so wie noch Karina Reiss und Sucharit Bhakdi in ihrem Buch "Corona Fehlalarm?" (5. Auflage, 2020). Dieses Thema ist jedenfalls abgehakt, und das kann mit einigem Wohlwollen als Fortschritt in Richtung aufgeklärte Gesellschaft interpretiert werden.