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Wer ist Täter, wer ist Opfer? Im Fall Madeleine fehlen vor allem Beweise

Von Ronald Schönhuber

Analysen

Auch vier Monate danach gibt es in Fall Madeleine McCann vor allem eines nicht: stichhaltige Fakten. Die Blutspuren, die von der portugiesischen Polizei im Mietwagen ihrer Eltern gefunden wurden, waren nach der Analyse in einem britischen Labor plötzlich nur noch DNA-Spuren - noch dazu von so schlechter Qualität, dass keine Zuordnung möglich ist.


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Das Blut im Hotelzimmer, das angeblich von der Vierjährigen stammen sollte, gehörte dann doch einem "weißen Nordeuropäer", der das Zimmer vermutlich irgendwann einmal vor den McCanns gemietet hatte.

Und auch der Leichengeruch, den Spürhunde vor kurzem an der Kleidung von Madeleines Mutter entdeckt hatten, will nicht so recht als Hinweis oder gar als Beweis taugen. Denn die Hunde können den Leichengeruch laut Experten nur bis zu einem Monat nach dem Kontakt wahrnehmen.

Auch vier Monate nach dem Verschwinden des kleinen Mädchens gibt es aber vor allem eines: wilde Spekulationen in der britischen Boulevardpresse. "Habt ihr Maddie ruhig gestellt?", fragte etwa die nicht gerade als zimperlich bekannte "Sun" in dicken Lettern auf ihrer Titelseite.

Die Zeitung wollte erfahren haben, dass die Ermittler einer Theorie nachgehen, derzufolge das Ärzte-Ehepaar seiner Tochter irrtümlich eine Überdosis Beruhigungsmittel gegeben hatte, um mit Freunden ungestört in einer Tapas-Bar feiern zu können. Und auch die "Daily Mail" will bereits wissen, dass das Mädchen in dem Appartement seiner Eltern umkam und nicht entführt wurde.

Dass es diese Spekulationen gibt, hat vor allem zwei Gründe: Zum einen hält sich die portugiesische Polizei, der von britischen Medien immer wieder Dilettantismus vorgeworfen wurde, offiziell strikt an die Nachrichtensperre im Ermittlungsverfahren. So gut wie alles, was an bruchstückhaften Informationen nach außen dringt, ist undichten Stellen zu verdanken und motiviert dementsprechend zu vagen Theoriebildungen.

Zum anderen haben die McCanns mit ihrem weltweiten und perfekt durchorganisierten Hilferuf etwas geweckt, das sich auch mit dem professionellsten Kommunikationsmanagement und eigenen Pressesprecher nicht mehr kontrollieren lässt. Denn so scheinbar mitfühlend die britische Boulevardpresse sich nach dem Verschwinden von Madeleine engagierte, so unbarmherzig und knallhart agiert sie jetzt, wo das gefühlte Misstrauen und das publizierte Unbehagen gegenüber den McCanns langsam wächst.

Daran ändert auch nichts, dass sich die britischen Medien gegenseitig Hysterie vorwerfen. Und auch dass man noch vor wenigen Wochen gemeinsam mit Fußballstar David Beckham oder Harry-Potter-Autorin Joanne Rowland alles für die Suche nach der Vierjährigen mobilisiert hatte, spielt keine Rolle. Ebenso übrigens wie die Frage, ob es stichhaltige Beweise gibt oder nicht.