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Wer jetzt nicht lebt, wird nichts erleben

Von Christian Mayr

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Der Fußball ist viel größer als die Fifa - und warum die WM im Kern noch nicht kommerzialisiert ist.


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Wer jetzt nicht lebt, wird nichts erleben. Bei wem jetzt nichts geht,bei dem geht was verkehrt. In der wohl philosophischsten WM-Hymne versuchte Herbert Grönemeyer anno 2006 das Motto einer Fußball-WM auf den Punkt zu bringen. Wenn heute in São Paulo die 20. Titelkämpfe angepfiffen werden, wird dieser Satz für die Akteure der 32Mannschaften und ihrer Millionen Fans wieder verinnerlicht werden. Für viele stellt die WM eine einmalige Chance dar, für die alles gegeben werden muss. Es gibt keine Wahl und kein zweites Mal. Und für viele wird eine Endrunde ein lebenslanger unerfüllter Traum bleiben. Etwas, das man sich um kein Geld der Welt kaufen kann. So gesehen steckt ausgerechnet im Kern dieser hyperkommerzialisierten und Milliarden verschlingenden Großveranstaltung noch der Urgedanke des Fußballs als Auseinandersetzung zweier Teams, mit gleichen Chancen, gleichen Hoffnungen, gleichen Träumen. Denn was im (europäischen) Klubfußball längst nicht mehr möglich ist, ist bei einer WM allgegenwärtig - nämlich dass die Kleinen über die Großen triumphieren können. Auch wenn es wie einst keine bloßfüßigen Amateure mehr gibt, die den Profis der großen Nationen ein Bein stellen - das Wesen einer WM ist nicht oder nicht nur Brasilien, Deutschland und Spanien, sondern das ist Honduras, Bosnien, Algerien und Costa Rica. David gegen Goliath - die Chance, in einem Spiel vor aller Welt Unsterblichkeit zu erlangen. Und wo es nicht möglich ist, sich sein Team mit Petrodollars zu kaufen und dann auf Pump Starkicker zu holen, wie es in der Champions League Mode geworden ist. Dass der Weltfußballverband Fifa Letzteres nicht zulässt, darf man ihm als großen Verdienst anrechnen; ansonsten hat der Organisator der WM bekanntlich kaum eine Gelegenheit ausgelassen, sein Negativimage in Form einer Bande korrupter Funktionäre mit dem Hang zur Despoten-Unterwürfigkeit zu pflegen. Doch die zu Recht kritisierten Machenschaften werden mit dem ersten Anpfiff (zumindest bis zum 13. Juli) ausgeblendet sein, denn das bevorstehende Fußball-Fest ist viel größer und wichtiger als der profitsüchtige und Milliarden scheffelnde Weltverband. Die Fifa mag ihr Turnier aus Marketingründen als Fifa-World-Cup oder Fifa-WM titulieren - die Welt hält sich nur nicht dran. Denn es ist die Weltmeisterschaft des Fußballs, der größten, der globalsten Sportart, die es gibt - eine Veranstaltung, die zumindest in der jüngeren Vergangenheit als Völker verbindendes, friedliches Fest zelebriert wurde. In diesem Sinne freuen wir uns auf hoffentlich 64 packende Duelle auf dem grünen Rasen, herrliche Tore, taktische Finessen, glanzvolle Torparaden, spannende Elferkrimis und einen hoffentlich würdigen Weltmeister.

Oder um mit Grönemeyer zu schließen: Die Sekunden sind gezählt, Hoffnungen übergroß. Es wird Zeit, dass sich was dreht.