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Wer kann die Lücke füllen?

Von Georg Friesenbichler

Politik

Premier Maliki: "Großer Sieg." | Angst vor Gewalt, Hoffnung auf Öl. | Bagdad/Wien. Für den irakischen Ministerpräsidenten Nouri al-Maliki ist der heutige Dienstag "ein großer Sieg". Wenn die US-Truppen aus den Städten des Irak abziehen, sei das ein Zurücktreiben der fremden Besatzer. Der US-Oberkommandierende im Irak, General Ray Odierno, sieht das ein bisschen gelassener: Er sieht im Abzug nur ein Zeugnis für einen Fortschritt bei der Leistungsfähigkeit der einheimischen Armee. Dieser und den irakischen Polizeikräften bescheinigt er immerhin, dass sie für die Übernahme des selbständigen Handelns gerüstet seien.


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Diese Überzeugung teilt er mit Maliki, aber längst nicht mit allen Irakern. Nachdem die Zahl toter Zivilisten in den Monaten davor gesunken war, starben im Juni mehr als 200 Menschen durch Anschläge. Rund um den Feiertag, zu dem Maliki den 30. Juni ausrufen ließ, wurden daher die Sicherheitsvorkehrungen noch einmal verstärkt. Seit Montag gibt es in Bagdad wieder Straßensperren und Kontrollen, bei der Polizei wurden Urlaube gestrichen.

Besonders in den unruhigen Städten des Nordens mit starkem Kurdenanteil, in Kirkuk und Mossul, steigt die Besorgnis, hat man doch die US-Truppen als neutrale Beschützer gesehen. Auch US-Präsident Barack Obama, der den stufenweisen Rückzug der US-Truppen forciert hat, forderte am Freitag erneut ein, die Kluft zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen zu überwinden.

Die Kluft zwischen der sunnitischen Minderheit und der schiitischen Bevölkerungsmehrheit ist längst nicht überbrückt. Nach dem Anschlag in Sadr-City, der vorige Woche 74 Menschenleben gefordert hatte, beschuldigten schiitische Demonstranten die heimischen Sicherheitskräfte, nicht genug zu ihrem Schutz zu tun. Im Zuge der Versöhnung mit ehemaligen Aufständischen sind auch viele sunnitische Ex-Milizionäre in die Reihen von Polizei und Militär aufgenommen worden.

Anderseits fürchten auch die Sunniten, dass die immer noch dominierenden Schiiten in den Sicherheitstruppen ihre Macht missbrauchen könnten. Dies umso mehr, als sich der Schiit Maliki mittlerweile auch dort eine Machtbasis geschaffen hat. Er bereitet sich auf seine Wiederwahl im Jänner 2010 vor.

Malikis Machtkampf könnte Gewalt erzeugen

War er 2006 auch deswegen zum Premier gewählt worden, weil er im Ruf der Schwäche und Machtlosigkeit stand, beherrscht er heute die Instrumente der Macht und benutzt sie, um am Ruder zu bleiben - mit Methoden, die "aus dem Handbuch des letzten irakischen starken Mannes, Saddam Hussein geborgt" sein könnten, wie die "Washington Post" unlängst schrieb.

Maliki-Gegner werden verhaftet oder bedroht. Das betrifft die sunnitische Islamische Partei, die mit Maliki in einer Koalition sitzt, aber auch schiitische Opponenten wie die mächtige Gruppe des Prediger Muktada al-Sadr oder die Partei "Oberster islamischer Rat". Dieser Druck, so meinen Beobachter, soll Maliki auch dazu dienen, für die Wahl eine umfangreiche Koalition zu formen, die sogar Sunniten einbeziehen könnte - und allein durch ihre Größe dem Premier den Machterhalt sichern würde. Aber die politischen Spannungen könnten die Sicherheit zusätzlich unterminieren, meinte unlängst Vizepremier Barham Salih, ein Kurde. Die Gewaltspirale könnte sich aufgrund dessen neu zu drehen beginnen, befürchten auch andere Maliki-Kritiker.

Abseits dessen versucht Maliki gleichzeitig, sich an der wirtschaftlichen Front den Rücken frei zu halten. Am Dienstag werden - wegen eines Sandsturms einen Tag verspätet - Öl- und Gasförderlizenzen an ausländische Konzerne versteigert, darunter BP, Chevron, Exxon, Gazprom und Sinopec. Mit rund 2,4 Barrel pro Tag (bpd) fördert das Land weniger als vor der US-Invasion im Jahr 2003. Diese Menge soll nach dem Willen der Regierung in Bagdad in den nächsten fünf Jahren auf sechs Millionen bpd wachsen.

Wohlstand hätte das Land wohl noch dringender nötig als das gesteigerte Selbstbewusstsein, das mit dem US-Abzug aus den Städten einhergeht. Denn nach wie vor fällt in vielen Teilen des Landes ständig die Elektrizität aus, bricht das Telefonnetz zusammen, gibt es kein sauberes Wasser. Auch hiebei waren die US-Truppen bisher willkommene Helfer. Die zurückgeblieben irakischen Zivilisten trösten sich damit, dass die Stützpunkte der fremden Soldaten nicht allzu weit weg sind. Denn wenn die Sicherheitslage den Irakern zu prekär scheint, sollen die Amerikaner schon noch herbeieilen dürfen.

Der Abzug

Irak: Der Abzug

Der im amerikanisch-irakischen Sicherheitsabkommen festgelegte Rückzug aus den Städten ist der erste Schritt zum vollständigen Abzug der Amerikaner. Einige US-Soldaten bleiben noch als Ausbildner und zum Schutz diplomatischer Einrichtungen in den Städten. Kampfeinsätze in ländlichen Gebieten werden fortgesetzt, doch nur noch mit Zustimmung der irakischen Regierung. Eine Rückkehr in die Städte bedürfte einer ausdrücklichen Bitte.

Alle Kampftruppen sollen jedenfalls laut US-Präsident Barack Obama bis Ende August 2010 abgerückt sein, der Rest bis zum 31. Dezember 2011. Möglicherweise sollen allerdings auch dann noch US-Truppen im Lande bleiben, vor allem zu Ausbildungszwecken. Alle anderen alliierten Truppen sind bereits abgezogen, zuletzt Ende Mai die Briten.

Der neuen irakischen Armee gehören 270.000 Soldaten an, die von den US-Streitkräften ausgebildet worden sind. Dazu kommen 348.000 Polizisten und Bürgerwehrkämpfer.

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