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Wer leidet an Nostophobie?

Von Thomas Seifert

Leitartikel

Warum sich die 1970er Jahre nicht als Schreckgespenst eignen.


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Es gibt Kassandrarufer, auf die immer Verlass ist: Der Historiker Niall Ferguson ist einer, oder der Ökonom Nouriel Roubini.

Roubini sagte die Finanzkrise im Jahr 2007/2008 korrekt voraus und wurde zuerst als "Dr. Doom" (Dr. Untergang) verspottet. Doch Roubini sollte recht behalten, die Märkte kollabierten. Seither trägt er den Titel "Dr. Doom" als eine Art Adelsprädikat. Roubini sagt für 2023 eine "lange und garstige" Rezession voraus. Die Rückkehr zu einer Inflationsrate um die zwei Prozent sei eine "Mission Impossible" für die US Fed, sagte Roubini schon im September gegenüber dem Nachrichtenservice Bloomberg.

Der Historiker Niall Ferguson zog den naheliegenden Vergleich zu den 1970er Jahren: 1973 war das Jahr des Yom-Kippur-Kriegs und des Opec-Ölembargos.

Und 2022? Das war das Jahr von Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine. Ein Ende des Ukraine-Konflikts ist nicht absehbar, daher würde die Energiekrise auch länger dauern, sagte Ferguson, der bei der konservativen bis libertären Denkfabrik Hoover Institution arbeitet.

Bringt das Jahr 2023 aber wirklich Stagflation, Streikwellen und Niedergang, wie es von den Kassandrarufern prophezeit wird?

Tatsächlich grassiert derzeit - vor allem in konservativen Zirkeln - so etwas wie Nostophobie, das Gegenteil von Nostalgie, eine Angst vor einer Rückkehr in vergangene, vertraute Zeiten. Dabei müssen die 1970er Jahre als Schreckgespenst herhalten.

Doch Geschichte wiederholt sich nicht - sie reimt sich aber, wie US-Schriftsteller Mark Twain behauptet hat.

Die 1970er Jahre gehörten den Baby-Boomern -wie der Name schon sagt, standen geburtenstarken Jahrgänge voll im Arbeitsleben. Heute ist das anders: Die Älteren der Generation X (1965-1979) gehen in einigen Jahren in Pension, Generation Y (1980-1995) und Z (1996-2010) sind schon die geburtenschwachen Jahrgänge.

Das sind Megatrends, die auch die von Covid-19 verursachten Lieferkettenprobleme und die Russland geschuldete Energiekrise überdauern werden.

Das Machtgleichgewicht zwischen Arbeit und Kapital beginnt sich zu verschieben, die Erschütterungen dieser Verschiebung werden nicht zuletzt als Inflationsschübe erkennbar.

Der Deglobalisierungstrend, der bereits vor einigen Jahren eingesetzt hat, und der demografische Wandel in China bringen es mit sich, dass die Preise für Importgüter weiter steigen werden. Auch die Energiekosten werden so schnell nicht sinken.

Die Anpassung an die neuen Verhältnisse könnte somit am Ende eine neue Balance zwischen Finanz- und Realwirtschaft mit sich bringen. Und das wäre eine willkommene Rückkehr in die 1970er Jahre.