Nationalratswahl 2006: Schwarz-Grün verhindern. | ÖVP hat soziale Kälte bewiesen. | Die EU als nationalstaatlicher Schrebergarten. | Kein Spielraum für Steuersenkungen. | "Wiener Zeitung": Ist Alfred Gusenbauer der geeignete Kandidat für einen SPÖ-Sieg bei den Nationalratswahlen?
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Hannes Androsch: Er ist der Kandidat der SPÖ und hat alle Chancen zu gewinnen. Das haben alle zurückliegenden Wahlen gezeigt. Dazu kommt, dass die wirtschaftliche Situation im Land - gelinde gesagt - unbefriedigend ist. Wir haben eine Rekordarbeitslosigkeit, die weiter steigt, und in Wahrheit geschieht nichts. Die Placebo-Maßnahmen der Regierung wirken nicht. ÖVP und BZÖ haben sicher keine 40 Prozent des Souveräns mehr hinter sich.
Der Regierungspartner der ÖVP hat zwischenzeitlich Name und Farbe gewechselt . . .
Das ist die Konsequenz aus einer rechtslastigen, demagogischen und populistischen Politik und es ist ja nicht die erste Abspaltung. Das Liberale Forum hat sich schon früher von der FPÖ abgespalten. Das zeigt, dass diese Gruppierung viel zu heterogen und rechtslastig ist, als dass sie ein stabiler Faktor in der Innenpolitik geschweige denn in der Außenpolitik sein könnte.
Wie wird die politische Landschaft nach der Wahl 2006 aussehen?
Mit Sicherheit anders. Die SPÖ wird danach trachten müssen, dass es ohne sie arithmetisch nicht geht. Damit meine ich, dass sich Schwarz-Grün zahlenmäßig nicht ausgehen wird. Schwarz-Grün-Blau als Möglichkeit schließe ich aus. Eine vernünftige große Koalition wäre sicherlich das beste.
Im europäischen Vergleich wird - vor allem von der SPÖ - das skandinavische Sozialmodell mit hohen Sozial- und Bildungsausgaben als großer Vorbild gesehen.
Die skandinavischen Staaten haben ihre Hausaufgaben gemacht. Sie sind am Arbeitsmarkt - in sozialer Verträglichkeit - flexibler, haben ein besseres Bildungssystem und geben mehr Geld für Forschung aus. Da kann man sich sicherlich einiges abschauen. Aber das europäische Sozialmodell gibt es nicht. Es ist in Spanien anders als in Großbritannien. Es hat keinen Sinn, ein Modell zu glorifizieren, das nicht in der Lage ist, von 20 Millionen Arbeitslosen wegzukommen. Wie sich das auswirkt, kann man derzeit anhand der Unruhen in den Vororten von Paris sehen.
Ihr Rezept gegen die steigende Arbeitslosigkeit?
Kontinental Europa leidet unter Wachstumsmangel. Die hohe Spartätigkeit bewirkt eine Nachfragelücke. Andererseits gibt es Defizite auf der Angebotsseite: Im Bildungs- und Forschungsbereich gibt Europa um 100 Milliarden Euro weniger aus als die USA. Wir haben den Binnenmarkt nicht vollendet. Wir haben keinen europäischen Kapitalmarkt, keine Dienstleistungsdirektive. Jeder mauert sich in seinem nationalstaatlichen Schrebergarten ein.
Das heißt mehr Geld für Bildung und ein höheres Defizit in Kauf nehmen?
Das kommt darauf an. Für zukunftsbezogene Maßnahmen sehr wohl. Gleichzeitig sollte es mehr Wirtschaftsliberalismus geben.
Die ÖVP sieht sich mit dem Vorwurf der "sozialen Kälte" konfrontiert. Wie ist der Spagat zwischen sozial und wirtschaftsliberal zu schaffen?
Mit diesem Problem sieht sich jede große und führende Partei konfrontiert. Nur: Wenn ich mir die letzten Jahre anschaue, hat die ÖVP weder Wirtschaftskompetenz oder Wirtschaftliberalismus noch soziale Kompetenz gezeigt. Sie hat punktuell soziale Härte bewiesen. Dort sehe ich die große Chance der SPÖ und für Alfred Gusenbauers. Leistungskürzung bedeutet im Bildungs- und Forschungsbereich eben nicht sparen. Denn wer nicht sät, wird auch nicht ernten.
Stichwort Integration. Einerseits versucht Österreich verstärkt Ausländer draußen zu halten, andererseits holt man sie für Pflege ins Land. Sollte die SPÖ das Thema verstärkt aufgreifen?
Ja. Ausländerfeindlichkeit muss man ernst nehmen. Die SPÖ sollte die Themenführerschaft dabei haben und sich das Thema nicht von Rechtspopulisten aufzwingen lassen. Österreich hat von der Ostöffnung und EU-Erweiterung sicherlich am meisten profitiert. Allein 70.000 Arbeitsplätze wurden bei uns gewonnen. Wenn man offene Wirtschaftsbeziehungen hat, sollte das auch für den Arbeitsmarkt gelten. Da ist unser siebenjähriger Zuwanderungsstopp gegenüber Ungarn, der Slowakei, Polen und Tschechien ein Schuss ins eigene Knie. Jeder weiß, dass der private Wiener Pflegedienst nahezu ausschließlich aus Slowakinnen besteht. Niemand traut sich dagegen etwas zu tun. Denn sonst würde in den betroffenen Familien die Revolution ausbrechen.
Die Wiener Grünen fordern die Grundsicherung für alle. Ein mögliches SPÖ-Thema?
Ich habe damit große Probleme, weil ich die Behauptung, dass das nichts kosten würde, nicht nachvollziehen kann. Außerdem: Es gibt eine moralisches Recht auf Arbeit, aber auch die Verpflichtung zur Arbeit.
Die SPÖ fordert auch Steuersenkungen...
In der derzeitigen Situation ist dafür kein Spielraum. Wenn man es konjunkturpolitisch argumentieren will, sind gezielte Ausgaben für Infrastruktur, Bildung und Forschung wirkungsvoller. Denn bei einer Steuersenkung würde ein Teil gespart und der andere Teil für Auslandsausgaben, wie zugunsten von Fernreisen, verwendet. Die Nachfragewirksamkeit wäre viel geringer als bei Maßnahmen auf der Ausgabenseite. Das aber wäre angesichts der hohen Sparquote mehr als gerechtfertigt und würde noch immer die Maastricht-Kriterien erfüllen. Hier hat man in den letzten Jahren eine Menge versäumt.
Brauchen wir ein Europa der Erweiterung oder Vertiefung?
Beides. Bei der Türkei bin ich im besonderen aus ökonomischen und geostrategischen Gründen anderer Meinung als Kanzler Schüssel. Man muss den Menschen erklären, warum ein Beitritt kein Geschenk an die Türkei, sondern für Europa und damit für Österreich von Interesse ist.
Worin liegen die Vorteile?
In erster Linie gibt es aufgrund unserer Geburtenrate ein demografisches Interesse. Und wir müssen Antworten auf Terrorismus und Migration finden. Der Beitritt der Türkei könnte aus geostrategischen Gründen und Sicherheitsgründen ein Schlüssel sein.