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Ob Kinder oder Liebende, Arbeitgeber oder Arbeitnehmer, Politiker oder ganze Völker: Alle streiten. Konflikte gehören zum menschlichen Zusammenleben einfach dazu. Auseinandersetzungen bieten aber auch Chancen, Lösungen zu finden. Streit ist wichtig, um Dampf abzulassen, die Lage zu sondieren, Kompromisse zu finden, sich selbst und sein Gegenüber besser kennenzulernen. Streiten ist also wichtig - richtig zu streiten aber Grundvoraussetzung für positive Ergebnisse.
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Streiten hat keinen guten Ruf. Schon Kindern bringen wir bei, nicht zu streiten, Konfrontationen auszuweichen, der Harmonie den Vorzug zu geben. Dabei ist es gerade für die Kleinsten wichtig, sich durch regelmäßige Auseinandersetzungen ihren Platz in der Gesellschaft zu erkämpfen, ihre Interessen gegenüber anderen durchzusetzen oder gemeinsam Kompromisse zu finden. Jeder Streit ist ein Lernprozess, und zwar nicht nur für Kinder. Auch Erwachsene können aus - entsprechend zivilisiert geführten - Auseinandersetzungen viel lernen. Schließlich prallen im Streit Meinungen und Interessen aufeinander, und wer genau zuhört, lernt dabei sein Gegenüber besser kennen.
Wer Konflikte hingegen meidet, um vorgeblich die Harmonie zu schützen, der versinkt früher oder später in Frustration, Wut und Verzweiflung. Schließlich vergibt man so die Chance, eigene Wünsche zu realisieren.
Warum wir streiten. "Typische Streitmotive sind, dass Bedürfnisse nicht gestillt wurden, man Recht haben will oder einen Schuldigen braucht", plaudert Mediatorin Silvia Mohnl aus ihrer langjährigen Praxis. "Bürostreitigkeiten drehen sich typischerweise um Macht, Erfolg und Status."
Klingt einfach, ist es auch, weiß die Expertin. Letztlich sind es immer simple Motive, die Menschen aufeinander prallen lassen. Die wahre Kunst ist es dann jedoch, einen Streit positiv ausklingen zu lassen. Schließlich birgt eine Auseinandersetzung immer Risiken. Physische Gewaltanwendung ist dabei das äußerste Mittel, aber auch verbale Verletzungen können langfristig schmerzhafte Folgen haben.
Je heftiger und rücksichtsloser ein Streit geführt wird, umso schwieriger wird es für die Beteiligten, Lösungen zu finden. Und dann kann es schon mal sein, dass ein Mediator gerufen werden muss. "Ein Mediator ist ein Vermittler. Simpel ausgedrückt, bekommt jeder von ihm oder ihr seinen Anteil an Zeit, Lob und Verständnis. Außerdem vermittelt ein Mediator Regeln für die Auseinandersetzung, zeigt, wie man zuhört", erklärt Mohnl.
Sie arbeitet vor allem mit Kindern und Jugendlichen in Sachen Schulmediation zusammen. Dabei soll der stets zunehmenden Gewaltbereitschaft unter Jugendlichen begegnet werden. Außerdem engagiert sich Silvia Mohnl für das Projekt "Friedenswochen" auf der burgenländischen Burg Schlaining (www.friedenswochen.at), das sich im Rahmen von Projekttagen mit den Themenbereichen Konflikt, gewaltfreie Konfliktlösungen und Frieden beschäftigt.
Wie wir streiten. Um zu lernen, wie Menschen streiten, bietet es sich an, Kinder zu beobachten. Streiten Kinder anders als Erwachsene? - auf diese Frage hat Silvia Mohnl eine erstaunlich klare Antwort: "Bis zur dritten Klasse Volksschule, erstes Halbjahr streiten Kinder tatsächlich anders als Erwachsene", hat sie beobachtet. Ab diesem Zeitpunkt beginnen sie zu taktieren, Verbündete zu suchen, ihre Streitereien verändern sich. Kleinere Kinder sind hingegen oft schon mit einem Streit fertig, wenn er
ausbricht.
Kann man als Erwachsener also von Kindern in Sachen streiten lernen? Die Mediatorin wiegt ihren Kopf, zögert, beginnt zu erläutern: "Kinder sind sehr hart in der Auseinandersetzung, aber auch sehr ehrlich. Sie lassen jedoch ihren Streitpartner nie allein, auch wenn es zur gewaltsamen Eskalation kommt und hingeschlagen wird. Die Diskussion, warum etwas passiert ist, ist ihnen wichtig. Sie wollen verstehen, und sobald sie das tun, entschuldigen sie sich. Dann sind sie quitt, und die Sache ist erledigt."
Umso wichtiger ist es, dass sich Erwachsene nicht immer einmischen, wenn sich Kinder in die Haare geraten. Wichtiger sei es aufzeigen, wie ein Streit gelöst werden kann, nicht jedoch den Streit an sich zu verhindern. Dazu gehört auch, dass Lehrer, Eltern und alle anderen Ansprechpartner der Kinder ihnen vermitteln, wie man respektvoll miteinander umgeht.
Wie man richtig streitet. "Das wichtigste beim Streiten ist, dass man Verständnis für die Position des anderen zeigt" betont Mohnl. Respekt für den Konterpart ist wichtig, Mitgefühl und echtes Zuhören dafür die Voraussetzung, wissen auch George R. Bach und Peter Wyden in ihrem Konfliktbuch "Streiten verbindet. Spielregeln für Liebe und Ehe", das längst zum Klassiker wurde. Bei einem fairen Streit werden Regeln eingehalten. Jeder darf seine Meinung sagen, jeder muss dem anderen dabei zuhören, ihn ernst nehmen und respektieren, erklärt das Kompendium. Damit ein Streit nicht eskaliert, muss er fair sein, sonst verliert man mehr als man gewinnt.
Wenn Erwachsene streiten, egal ob privat oder am Arbeitsplatz, Männer oder Frauen, sollte idealerweise jeder vorher bereits über eine Lösung nachdenken, auch wenn diese womöglich mit einem teilweisen Verzicht auf die eigenen Ansprüche verbunden ist. Wer sich überlegt, was bestenfalls und schlimmstenfalls passieren kann, kann bewusster und damit aktiver streiten, wird weniger von den Emotionen überrollt. Ein fairer Streit hat keine Sieger und keine Verlierer. Er hat eine Lösung, füllt ein Informationsdefizit, ermöglicht einen Austausch.
Respekt und zivilisiertes Streiten zeigen sich auch in der Wahl der angemessenen Mittel. Sämtliche Streitforscher empfehlen, Vergangenes ruhen zu lassen, nur über die Probleme der Gegenwart zu streiten. Denn wer endlose Listen vergangener Probleme präsentiert, kann zu keiner Lösung kommen. Wer hingegen regelmäßig seine Wünsche und Vorstellungen formuliert, braucht auch nur aktuelle Probleme anzusprechen.
Und Vorsicht vor Attacken unter die Gürtellinie. "Nicht mit Atombomben auf Spatzen schießen", empfehlen Bach und Wyden. Wer sein Gegenüber nachhaltig verletzt, verhindert eine konstruktive Lösung. Rücksichtslosigkeit bis hin zur Gewaltanwendung ist keine Konfliktlösung. Auch verbale Ausrutscher müssen vermieden werden, führen sie doch nur zu oft zum Abbruch jeglicher Kommunikation. Jeder Mensch hat seine individuelle Schmerzgrenze, die es vom Streitpartner nicht zu überschreiten gilt. Dafür muss man sie aber auch kennen. Auch das muss also im Sinne eines fairen Streitens kommuniziert werden.
Wann und wo wir streiten. Konstruktive Auseinandersetzungen brauchen auch noch den richtigen Zeitpunkt und den richtigen Ort. Es ist wenig empfehlenswert den Chef im Büro vor den Kollegen zu Konzessionen zwingen zu wollen. Während des morgendlichen Aufbruchs in einer Familie Grundsatzdiskussionen erzwingen zu wollen, hat sich auch nicht bewährt. Eine ruhige, stressfreie Umgebung, möglichst außerhalb irgendwelcher Revieransprüche, in der beide Streitparteien sich ungehindert austauschen können, hilft bei einer konstruktiven Lösungssuche hingegen sehr.
Soll man vor den Kindern streiten? Diese Frage, die bislang stets verneint wurde, bejahen Bach und Wyden hingegen sogar, wenn es der Fairness dient. Immerhin versuchen die meisten Eltern ihren Kindern ein gutes Beispiel zu geben und benehmen sich in diesem Fall besser und rücksichtsvoller als in Abwesenheit der kleinen Zaungäste.
Zusätzlich gilt es zu beachten, dass Kinder von Erwachsenen lernen. Wer also bereits als Kind beobachtet, dass der Streit der Eltern kein Weltuntergang ist, sondern ein Aufeinanderprallen zweier gleichberechtigter Partner, die unterschiedliche Auffassungen haben und eine Lösung suchen, wird davon in seinem späteren Leben profitieren können.
Männer streiten - Frauen auch. Auch in Sachen Streiten gibt es zwischen den Geschlechtern Unterschiede. Diese mögen kulturell bzw. durch Erziehung geprägt sein, vorhanden sind sie. Und wer mit dem alltäglichen Streit in Beziehungen oder am Arbeitsplatz besser zurechtkommen will, tut sich leichter, wenn er die Unterschiede zwischen Mann und Frau kennt und respektiert.
"Männer sind beim Streiten kürzer, konzentrierter, bringen die Dinge schneller auf den Punkt und schweifen weniger ab", hat Mediatorin Silvia Mohnl beobachtet. Ist der Status klar, das "Alphatier" definiert, verhalten sich Männer bei Streitereien untereinander entsprechend.
Beim Streit mit Frauen kann genau das jedoch zu Missverständnissen führen, denn ihnen ist es wichtiger, dass ihre Gefühle verstanden werden. Emotionen stehen daher bei weiblichen "Streithanseln" viel mehr im Vordergrund. Zwar sind sie letztlich sehr konzentriert dabei, ihre Ziele durchzusetzen, kämpfen aber öfter mit unfairen Mitteln und Tricks wie z.B. Abschweifungen, weiß Mohnl. "Frauen haben viel weniger Scheu zu streiten, vielleicht auch weil sie einfach viel lieber und länger reden",
grinst die Mediatorin.
Für beide Geschlechter ist jeder Streit jedoch eine Herausforderung, ein Risiko. Immerhin steht stets die persönliche Sicherheit, z.B. in einer Paarbeziehung, auf dem Spiel. "Je stabiler eine Beziehung ist, umso intensiver kann man streiten, immerhin muss keiner Angst haben, dass der andere gleich weg ist. Dann ist ein Streit auch eine Befreiung vom inneren Druck", erläutert Mohnl.
Wenn ein Paar jedoch streitet, nur um Dampf abzulassen, die Sünden des jeweils anderen akribisch aufzuzählen - "Das ist typisch!" lacht Mohnl - und dem anderen gar nicht zuhört, führt ein Streit zu gar nichts, außer zu gegenseitigen Verletzungen. Man dreht sich im Kreis, findet keine Lösung, beginnt den gleichen Streit immer wieder und bricht ihn ab, nur um weiter zu streiten.
Richtiges Streiten kann hingegen helfen, unrealistischer Erwartungen an das Gegenüber zu korrigieren. Es kristallisiert sich dabei heraus, wie jemand wirklich ist und was er erwartet. So kann sich eine Beziehung intensivieren, weil sich die Partner besser kennen lernen. Wer nicht streitet, weil er Angst hat, dass sein Bild des Partners oder das des Partners von ihm zerstört wird, kann keine echte Intimität erwarten, weil er oder sie sich nicht auf die tatsächliche Person mit all ihren Fehlern und Eigenheiten einlassen will, heißt es im Streitklassiker von Bach und Wyden.
"Eine wirkliche Lösung beim Streiten ist harte Arbeit. Wenn man sich der nicht unterzieht, dann war es das meist auch mit der Beziehung", meint Silvia Mohnl. Wer also nicht streitet, hat sowieso verloren…
Buchtipp:
George R. Bach, Peter Wyden:
Streiten verbindet. Spielregeln für Liebe und Ehe. Fischer; 10,20 Euro