Beim Reden kommen die Leut´ zusammen, will eine ur-österreichische Lebensweisheit wissen. Mindestens genauso viel Erfolgsaussichten hat, wer sich im politischen Alltag an Ludwig Wittgensteins These, "wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen" hält. | Aber unter Österreichs Parteien ist hoffnungslos zum Scheitern verurteilt, wer wie der Philosoph dem "Ausdruck der Gedanken Grenzen ziehen" will. Das müssen nun auch Bundeskanzler Werner Faymann und Vizekanzler Josef Pröll nach Tagen des vergeblichen Bemühens, die ausgebrochene Diskussion um eine höhere Besteuerung von Vermögen wieder einzufangen, erkennen. So leicht lässt sich im Land des politischen Kurzzeitgedächtnisses ohne Tiefenwirkung, wo weniger geschehene Ereignisse als Forderungen nach Ereignissen die Schlagzeilen des Tages bestimmen, keine Debatte beenden.
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Umso mehr, als die äußeren Umstände für das Thema besser nicht sein könnten: Auswüchse - Stichwort Manager-Boni, Meinl, Madoff - in weiten Teilen der Finanzwelt haben die öffentliche Legitimation des Finanzsystems massiv untergraben. Österreich weist in der Tat ein Ungleichgewicht zwischen den Steuern auf Arbeit und jenen auf Vermögen auf. Dabei ist die Belastung auf Arbeit mindestens so exorbitant wie die in diesem Zusammenhang stets betonte Begünstigung von Vermögen.
Schließlich stehen wieder zahlreiche Wahlgänge vor der Tür: im Juni die EU-Wahlen, im Herbst Landtagswahlen in Oberösterreich und Vorarlberg, 2010 folgen Burgenland, Steiermark und Wien sowie die Kür des Bundespräsidenten. Da ist viel Raum und Nachfrage an politischer Profilierung, insbesondere da die Urnengänge in Salzburg und Kärnten die fortdauernde Verwundbarkeit der Kanzler-Partei an der Wählerbasis deutlich gemacht haben. Forderungen nach sogenannten Reichen-Steuern kommen da immer gut, zumal die Staatsfinanzen ohnehin an allen Ecken und Enden krachen.
Aus all diesen Gründen tun Faymann und Pröll gut daran, das Sprengpotenzial dieser Debatte für die Koalition nicht zu unterschätzen. Mit einem "Schluss der Debatte", und sei die Forderung noch so energisch ausgesprochen, wird es aber nicht getan sein. Auch der schlichte Satz, dass Steuererhöhungen nicht im Koalitionspakt vorgesehen seien, könnte dringend einige argumentative Rückenstärkung von inhaltlicher Substanz gebrauchen.
Dabei ist die Frage, wie die in der Krise aufgehäuften Schuldenberge in Zukunft wieder abgetragen werden, mehr als legitim. Wobei nur eines übersehen wird: Nur in Zeiten leerer Kassen können der öffentlichen Hand Einsparungsprojekte abgerungen werden. Man sollte diesen Druck nicht gleich wieder durch das Erschließen zusätzlicher Einnahmenquellen verpuffen lassen.
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