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Der Valentinstag ist mein persönlicher Trauertag. Im Büro rufe ich Jahr für Jahr morgens an und entschuldige mich mit bellendem Husten, den ich mit Hilfe einer offenen Flasche Terpentin perfekt simuliere, oder mit plötzlichem, starken Fieber. Dann verbringe ich den Tag im Bett.
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Ich meide den Anblick der langen Schlangen in den Blumengeschäften, Schlangen, die sich manchmal bis zum Ausgang hin ziehen und erst auf der Straße ihr Ende nehmen. Ich meide die Begegnung mit all den Männern, die, mit der Aktentasche in der einen und einem Blumenstrauß in der anderen Hand, glücklich nach Hause streben. Ich meide all diese Bilder - und doch ist meine Sehnsucht nach einer neuen Liebe von Jahr zu Jahr größer geworden.
Die große Leere. Ich bin Single. Schon lange. Vor sechs Jahren ist Karin bei mir ausgezogen. Sie räumte ihre Bücher aus dem Regal im Flur in einen großen, grauen Pappkarton. Sie warf ihre Hosen, Pullover und die Unterwäsche in die alte, braune Reisetasche und schmiss die Haarbürste und das Shampoo obenauf. Schließlich, als allerletztes, nahm sie ihre Zahnbürste aus dem grauen Bekalitbecher, den wir drei Jahre lang gemeinsam benutzt hatten. Sie ging durch den Flur, vorbei an dem Strauß mit Rosen, den ich auf dem Weg nach Hause an diesem Valentinstag für sie gekauft hatte, und mit einem dumpfen Geräusch fiel die Haustür hinter ihr ins Schloss. Seit diesem Tag lebe ich alleine. Keine andere Frau hat in dieser Zeit mein Schlafzimmer betreten oder gar ihre Zahnbürste in den Becher neben meine gestellt.
Partnersuche. Am heutigen Valentinstag aber wollte ich mich nicht wiederum verkriechen. Ich hatte andere Pläne. Schon zu Silvester hatte ich mir vorgenommen, nun endlich nach einer neuen Partnerin zu suchen. Heute sollten dem Vorsatz Taten folgen. Im Büro angekommen, startete ich den Computer und gab das Stichwort "Partnersuche" bei Google ein. Ich erhielt sagenhafte 184.000 Treffer. Zumeist handelte es sich allerdings um Firmen, die Partnersuche im Internet anboten oder um Agenturen, die auf die Vermittlung von Russinnen, Lettinnen und Ukrainerinnen an deutschsprachige Männer spezialisiert waren.
Ich klickte mich durch die Einträge. Der Treffer mit der Nummer 148 ließ mich stutzen. In Großbuchstaben stand dort nur die eine Frage: WER PASST ZU MIR? Wie hypnotisiert starrte ich eine ganze Weile auf den Bildschirm. Die Frage hatte mich gepackt. Mir dämmerte, dass ich mir diese Frage, wer um alles in der Welt zu mir passen könnte, noch nie gestellt hatte. Ich hatte wirklich nicht die geringste Ahnung, wer zu mir passte. Mit schwitzenden Händen klickte ich auf den Eintrag, doch es erschien nur der Hinweis "Für diese Domain wurden keine Inhalte hinterlegt."
Fachliteratur. Die Buchhandlung im Rathauscenter hatte ein ganzes Regal mit der Aufschrift Lebenshilfe und ein eigenes Fach für das Thema Partnerschaft. Ein Buch trug den seltsamen Titel "Männerbeschaffungs-Marketing". Tragen Sie immer kurze Röcke und sparen Sie für eine Brustvergrößerung, riet die Autorin. Das nächste Buch hieß "Wie Frauen den Mann fürs Leben finden". Der Mann ist der Jäger, die Frau ist das Wild - verhalten Sie sich entsprechend. Und bitte: Rufen Sie ihn unter keinen Umständen an.
Ein Buch mit dem Titel "Wer passt zu mir?" gab es nicht. Stattdessen drückte mir die Buchhändlerin ein psychologisches Fachbuch in die Hand, das neueste Forschungen zur Frage der Partnerwahl behandelte. Sie schenkte mir noch ein Lächeln, wies auf eine rote Couch hin und ich begann zu lesen.
Ähnlichkeitswahl. Glaubt man wissenschaftlichen Untersuchungen, dann folgen die meisten Menschen bei der Partnersuche dem Prinzip der Ähnlichkeitswahl. Sie wählen einen Partner, der ähnlich gut aussieht, ein ähnliches Bildungsniveau hat, aus einer ähnlichen sozialen Schicht kommt und ähnliche Überzeugungen hat wie sie selbst. Der letzte Punkt spielt bei der Partnerwahl sogar eine besonders große Rolle. Zu diesem Ergebnis kamen jedenfalls Studien, die an der Universität von Iowa durchgeführt wurden. Menschen verlieben sich demnach bevorzugt in Menschen mit ähnlichen Ansichten und ähnlichen Einstellungen.
Und genau das hilft Ihnen bei der Partnersuche nicht weiter! Für die Untersuchung wurden Paare zu ihren Einstellungen zu wichtigen Themen wie zur Bedeutung von Freundschaften und Geld in ihrem Leben befragt, ihrer Haltung zu gleichgeschlechtlichen Ehen, zu Religion und zu anderen Werten. Die Ansichten der Paare erwiesen sich als sehr ähnlich. Doch ähnliche Überzeugungen führten nicht auch zu einer großen Zufriedenheit mit der Beziehung. Paare mit unterschiedlichen Auffassungen waren in der Studie ebenso glücklich.
Persönlichkeit. Entscheidend für das Glück in der Partnerschaft erwies sich hingegen, ob die Partner in entscheidenden Persönlichkeitseigenschaften übereinstimmten. Und das war oft nicht der Fall.
Warum aber spielt die Persönlichkeit bei der Partnerwahl eine so unterschätzte Rolle? Vermutlich sind die Ansichten eines möglichen Partners für Menschen, die auf der Suche sind, einfach leichter zu erfassen. Ob jemand seinen Verdienst über alle anderen Werte stellt oder die Ehe für Homosexuelle ablehnt, das ist leicht festzustellen und in der Regel schon nach ein oder zwei Verabredungen klar. Persönlichkeitseigenschaften dagegen sind deutlich schwerer zu erkennen als Wertvorstellungen. Charakterliche Besonderheiten geraten auf diese Weise aus dem Blick.
Das könnte auch erklären, warum es zum Prinzip der Ähnlichkeitswahl auch eine interessante Abweichung gibt. Ein ähnliches Alter der Partner erhöht die Stabilität einer Beziehung. Ein ähnliches Bildungsniveau auch. Ein ähnlicher Kleidungsstil dagegen oder eine ähnlich große Bedeutung, die die Partner der Kleidung beimessen, trägt nicht zur Stabilität einer Beziehung bei. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall: Paare, die gleich viel Wert auf Kleidung legen, sind nach einigen Jahren mit einer höheren Wahrscheinlichkeit getrennt als Paare, die in diesem Punkt nicht übereinstimmen.
Ein Paar trennt sich natürlich nicht, weil es einen ähnlichen Kleidungsstil hat. Der Zusammenhang ist indirekt: Wer sich bei der Partnerwahl von Äußerlichkeiten wie der Kleidung leiten lässt, der achtet weniger auf innere Übereinstimmungen mit dem anderen. Statt die Grundfrage der Partnerwahl, "Wer passt zu mir?", an entscheidenden Persönlichkeitseigenschaften festzumachen, bleibt er mit seinem Halb voll oder halb leer - es kommt eben auf die Sicht der Dinge an. Blick an der Oberfläche, an der Kleidung und hofft, hieraus auf den Menschen zu schließen und eine Antwort zu erhalten auf die Frage, ob der andere zu ihm passt - ein Trugschluss.
Überlegungen. Ich stellte das Buch zur Partnerwahl wieder ins Regal und sah auf die Uhr. Meine Mittagspause war vorbei. Als ich das Geschäft verließ, begegnete mein Blick dem der netten Buchhändlerin. Sie lächelte so zuversichtlich und wohlwollend, ganz so, als wolle sie mir Mut zusprechen, nicht aufzugeben bei meiner Suche nach einer Antwort auf die Frage "Wer passt zu mir?".
Ich musste an Karin denken. Ähnlich war sie mir nun wirklich nicht gewesen. Ihr Glas war stets halb leer, während meines halb voll war. Sie war immerzu ruhelos unterwegs, während ich abends am liebsten still auf der Couch saß und las. Sie war immer gleich auf 180, sobald etwas nicht so lief, wie sie es sich vorgestellt hatte - was häufig der Fall war.
So war es dann schließlich am Valentinstag vor sechs Jahren zu jenem unrühmlichen Ende gekommen. Ich sah das Bild wieder vor mir, wie Karin, den Trageriemen der Reisetasche über der Schulter, in Richtung Haustür ging, vorbei an dem Strauß roter Rosen. Die Tasche streifte die Blumenvase, die mit einem dumpfen Geräusch auf den Dielen zerbrach. Ich stand erstarrt in der Wohnzimmertür, die Rosen lagen über den Boden verteilt, das Blumenwasser lief in der Mitte des Flurs zu einer Lacke zusammen. Karin öffnete die Tür. Draußen fiel leise der Schnee. Das letzte, was ich je von ihr sah, war ein zorniger, beinahe vernichtender Blick. Damals erschien mir dieser scherbenreiche Abgang eher eine Ungeschicklichkeit von ihr gewesen zu sein, begangen in einer Stimmung von Wut und Zorn. Heute aber, im Rückblick, bin ich sicher: Sie hat es mit Absicht getan.
Ein neuer Anfang. Am Eingang des Rathaus-Centers blieb ich vor einem Blumenladen stehen. Ich zögerte. Dann aber betrat ich das Geschäft und kaufte einen großen Strauß roter Rosen. Für einen Augenblick erwog ich, ihn der Buchhändlerin zu schenken. Doch ich entschied mich anders: Es war mein Strauß. Ich würde ihn im Büro auf meinen Schreibtisch stellen. Jedem, der mich auf die Rosen ansprach und wissen wollte, für welche Frau die Blumen denn gedacht seien, würde ich fröhlich zurückgeben: "Ich bin Single. Schon lange. Kennst du eine richtig nette Singlefrau?" Und wenn er Ja sagte, dann würde ich antworten: "Gib mir bitte ihre Telefonnummer - ich rufe sie noch heute an."