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"Wer regiert denn eigentlich Großbritannien?"

Von WZ-Korrespondent Peter Nonnenmacher

Politik

Polemik um EU-Austritt lässt viele an Führungsstärke des Premiers zweifeln.


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London. Sie wussten, dass sie diese Schlacht nicht gewinnen konnten. Dass sie nicht einmal alle Parteigänger auf ihre Seite ziehen würden, an diesem Abend im britischen Parlament. Dennoch marschierten die "Euroskeptiker" der Konservativen Partei am Mittwoch auf mit triumphalem Trommelschlag. Die wachsende Zahl der EU-Gegner unter den Tories glaubt, dass sie im Trend der Zeit liegt und der endgültige Erfolg nicht mehr lange auf sich warten lassen wird - und dass Premierminister David Cameron bereits hechelnd hinterm Zug herläuft, statt seine Truppen zu kommandieren.

Es gehe jedenfalls nicht an, dass Cameron die Frage eines EU-Austritts-Referendums "nicht ernst genug" nehme, ließ sich einer der Haupttrommler, der Tory-Abgeordnete John Baron, vernehmen. Man dürfe der EU um Himmels willen nicht ins Verderben folgen, schlug sein Parteikollege Bernard Jenkin Alarm. Wenn man den Europäern auf dem Weg immer engerer Integration folge, handle man sich nur immer mehr Ärger und immer mehr Arbeitslosigkeit ein.

Bill Cash, ein dritter Sprecher, erklärte, alles drehe sich doch nur darum, "wer eigentlich Großbritannien regiert" - Westminister oder Brüssel. Innerhalb der EU könne sein Land nicht länger leben, nicht länger Wachstum erzielen. Das Ganze sei "eine ganz, ganz dringende Frage" für London: Jahrelang warten, wie es der Premierminister empfehle, könne man mit einem EU-Austritt nicht.

Das Schauspiel, das die Anti-Europäer mit der von ihnen erzwungenen Debatte lieferten, war in der Tat erstaunlich. In einer Art Misstrauensantrag rügten sie den (eigenen) Regierungschef dafür, bei der jüngsten Regierungserklärung legislative Schritte zur Vorbereitung eines EU-Referendums "ausgelassen" zu haben. Das, fanden sie, sei völlig unakzeptabel. Wie ernst es Cameron denn mit diesem Referendum sei?

Versprochenes Referendum

Das Referendum hatte Cameron den Rebellen im Jänner dieses Jahres zugestanden. Er hatte es zugleich fürs Jahr 2017 vorgemerkt. Er hatte erklärt, dass er nach einem Wahlsieg bei den Unterhauswahlen im Mai 2015 Verhandlungen mit den EU-Partnern zur "Reform" der Union aufnehmen würde. Über den von ihm angepeilten "neuen Deal" für Britannien sollten die Briten dann in einer Volksabstimmung über EU-Verbleib oder Austritt 2017 das Urteil sprechen.

Cameron selbst war bei der Debatte am Mittwoch gar nicht anwesend. Er hielt sich zu einer dreitägigen Visite in den Vereinigten Staaten auf. Seinen Hinterbänklern hatte er erlaubt, für den Tadel seiner Regierung zu stimmen. Seine Minister durften sich der Stimme enthalten. Als "äußerst schwach" habe sich Cameron im neu entbrannten Streit um Europa erwiesen, klagten Cameron-Loyalisten ebenso wie Oppositions-Politiker. Oppositionsführer Ed Miliband, der Vorsitzende der Labour Party, beschuldigte den Regierungschef, die "Kontrolle über seine Partei vollkommen verloren" zu haben.

Von "panischen Reaktionen" Camerons sprachen auch viele britische Kommentatoren. Cameron "improvisiere" verzweifelt, um sich die Parteirechte vom Leib zu halten, war der Medien-Tenor generell. Früher habe Cameron mal "durch klare Forderungen an seine Partei den Kurs vorgegeben", meinte der linksliberale Guardian. Jetzt suche er sich "kleinlaut durchzuwursteln, indem er allerlei fixen Ideen nachgibt".

Tatsächlich hatte Cameron 2006, als junger Parteichef, seine Parteigänger noch leidenschaftlich aufgefordert, von ihrer Obsession mit der EU zu lassen. Die Tories müssten "aufhören, die ganze Zeit auf Europa herumzureiten", und sich um wichtigere Themen kümmern. Inzwischen sieht sich der "Tory-Modernisierer" aber in denselben alten und bitteren Streit verwickelt, der schon zum Sturz Margaret Thatchers und zum Ende der Ära John Majors beigetragen hat.

Dem Schlachteifer in seiner Partei scheint die Verdrossenheit des Parteichefs über diese Lage indes keinen Abbruch zu tun. Man müsse sich fragen, ob die Konservative Partei vielleicht schon "unregierbar" geworden sei, sinnierte jetzt die der Finanzwelt eng verbundene "Financial Times". Kein Geheimnis ist, dass eine Mehrheit der Tory-Abgeordneten ernste Probleme mit
der britischen EU-Mitgliedschaft hat.