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Wer regiert und wer bleibt Ente?

Von Joachim Hohl, Bratislava

Politik

Um 14 Uhr wird heute in der Slowakei die Kampagne zu den Parlamentswahlen an diesem Wochenende offiziell beendet. Trotz weit verbreiteter Politikverdrossenheit in der Bevölkerung ist es den Parteien in den letzten Monaten immerhin gelungen, das Interesse an diesem für das Land so wichtigen Wahlgang langsam zu wecken. Die Wahlbeteiligung wird mit prognostizierten 75 bis 80 Prozent nicht so niedrig wie erwartet ausfallen, der Ausgang ist völlig offen.


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Nicht überall im Land war in den letzten Wochen viel von der intensiven Wahlkampfphase zu bemerken. Im beschaulichen Trencin in der Nordwestslowakei mit seinen 60.000 Einwohnern hielt sich die Werbung der Parteien merklich in Grenzen. Die Gegend um Trencin ist nach wie vor fest in der Hand des ehemaligen Ministerpräsidenten Vladimir Meciar, der hier beheimatet ist, und seiner Bewegung für eine demokratische Slowakei (HZDS). Wie hier verzichtete Meciar überall darauf, sein Konterfei - das jedes Kind in der Slowakei kennt - auf Plakaten zu affichieren. Überhaupt mutet der Wahlkampf der HZDS, im letzten Jahrzehnt die dominante Partei im Land, etwas seltsam an: Kaum Plakate, und wenn, dann äußerst dezent und gemäßigt. "Weniger ist Mehr" dürfte heuer das Motto Meciars gewesen sein.

Doch die anderen Parteien verzichten in Trencin ebenso darauf, Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Die Tausenden Jugendlichen, die zu einem Musikfestival in den Ort strömen, werden kaum von Wahlwerbern "belästigt". Einzig die humorvollen "Heer abschaffen"-, "Haschisch legalisieren"- und "Ich will Sex"- Aufkleber der jungen Sozialdemokraten (SDA) finden reißenden Absatz, der Stand der jungen Christdemokraten bleibt großteils verwaist.

Anders die Situation in Bratislava: Hier scheint ein regelrechter Kampf um die Plakatflächen ausgebrochen zu sein. Bei ursprünglich 26 - nach dem Rückzug der Demokratischen Partei (DS) 25 - wahlwerbenden Listen kaum verwunderlich. Ein Mann strahlt aber bereits seit Monaten von allen Plätzen der Stadt: SMER- Chef Robert Fico. Nicht gerade dezent startete der Shooting-Star der slowakischen Politikszene sehr früh seinen Wahlkampf und hat sich mit Angriffen auf Meciar und den derzeitigen Ministerpräsidenten Mikulas Dzurinda viel an Profil geschaffen.

"Dritter Weg" wie Blair

Ficos "dritter Weg" orientiert sich an der Politik des englischen Premiers Tony Blair. Mit seinem Leitspruch "Erst Ordnung, dann Demokratie" und scharfer Kritik an sozialem Missbrauch durch die Roma-Minderheit hat er sich nicht nur Freunde geschaffen. Doch gerade für viele junge, von Meciar und Dzurinda enttäuschte Menschen ist Fico der einzige politische Hoffnungsträger.

Ficos Chancen auf das Amt des Ministerpräsidenten stehen nicht schlecht. Nicht nur er ist mit seiner SMER, gleichauf mit der HZDS, allen anderen Parteien weit enteilt, auch bieten sich ihm zwei Möglichkeiten: So ein Einstieg in das Mitte-Rechtsbündnis um Dzurindas HZDU, die Ungarnpartei SMK, und die Christdemokraten KDH. Allerdings kann Fico mit Dzurinda nicht, und der Ministerpräsident genießt in seiner Partei trotz katastrophaler Umfragewerte nach wie vor Rückhalt.

Genau das könnte für die HZDU aber zum größten Problem werden. Denn auch der Medienmagnat Pavol Rusko, Hauptbesitzer des erfolgreichen TV-Senders "Markiza" ist mit Dzurinda spinnefeind. Zu groß sind die Unterschiede zwischen dem liberalen ANOChef Rusko und dem wertkonservativen Dzurinda.

Fokus auf Parteiinteressen

Das Interesse der Mitte-Rechts-Parteien an einer gemeinsamen Koalition dürfte nicht allzu groß sein, wie viele Kommentatoren in der Slowakei erstaunt feststellen. Weder wurde den Wählern im Wahlkampf die Möglichkeit einer solchen Regierung wirklich glaubhaft gemacht, noch wurde eine Zusammenarbeit nur ansatzweise besprochen.

Die eigenen Parteiinteressen stehen zu sehr im Vordergrund. Auch die stabilste Kraft der bisherigen Regierung, die Partei der Ungarischen Koalition (SMK) unter der Führung von Bela Bugar, möchte künftig verstärkt ihre Belange durchbringen. So fordert sie eine territoriale Umgliederung des Landes und mindestens einen Bezirk, im dem die Ungarn die Mehrheit stellen, sowie die Gründung einer ungarischen Universität. Nachdem die SMK bei der Vertretung der ungarischen Minderheit quasi ein Monopol hat, verfügt sie über ein großes Stimmenpotenzial. Bugar und Fico müssten sich für eine Kooperation aber erst mühsam zusammenraufen. Auch sind viele Slowaken mit dem erstarkten Selbstbewusstsein der Ungarn im Süden des Landes nicht glücklich und wollen deren Vertreter nicht in allzu wichtigen Positionen sehen.

Scheitert die Bildung einer Mitte-Rechts-Koaliton, bliebe als zweite Möglichkeit ein Zusammengehen von SMER und HZDS. Tatsächlich scheint Robert Fico von dieser Idee angetan, bevorzugt er doch eine stabile Regierung mit möglichst wenig Parteien. Doch SMER und HZDS sind wohl auf eine dritte Kraft angewiesen. Die HZD des ehemaligen Meciar-Vize Ivan Gasparovic, die dieser erst im Juni gegründet hatte, kommt nicht in Frage. Bliebe nur die Möglichkeit, dass eine weitere Partei die Fünf-Prozent-Hürde für den Parlamentseinzug überspringt. Entweder die zuletzt stark aufholenden Kommunisten (KSS), einzig verbliebene Hoffnung der Linken, oder - wahrscheinlicher - die stramm rechten Nationalisten (SNS). Diese wollen aber wiederum keinen Beitritt zur NATO, auf dem Fico besteht.

Für die Wähler ergibt sich eine schwierige Situation. Zum einen besteht die Gefahr, sich im Parteiendschungel zu verirren, zum anderen fehlt die Festlegung auf mögliche Koalitionen. Welche Probleme die neue Regierung angehen muss, ist aber klar: Rekordarbeitslosigkeit und die galoppierende Inflation - beides wird Dzurinda angelastet. Außenpolitisch ist unter seiner Regierung in den vergangenen Jahren hingegen viel weitergegangen. Die Slowakei ist nicht mehr isoliert, der Weg in die EU und NATO vorgezeichnet.

Daher hofft die Öffentlichkeit auf die rasche Bildung einer stabilen Regierung, die den EU-Beitritt ausverhandeln soll. Wie diese aussehen wird, ist noch völlig offen. Robert Fico wünscht sich jedenfalls den Posten des Ministerpräsidenten. Meinte er doch gegenüber der Wochenzeitung "Slovo", nur wer die Regierungsmacht habe, könne Dinge verändern: "Wer sie nicht hat, sitzt dagegen nur im Parlament und quakt wie eine Ente."