Gerhard Schmid, neuer SPÖ-Bundesgeschäftsführer, über harte Zeiten und vergangene Versäumnisse.
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Wien. Seit Anfang Juli fungiert Gerhard Schmid als neuer Parteimanager der zuletzt ins Schlingern geratenen Kanzlerpartei. Der Prof. Mag. Dr. - Schmid absolvierte ein Lehramtsstudium an der Berufspädagogischen Akademie und studierte auch Pädagogik und Politikwissenschaft - gilt als Vertrauter von Kanzler Werner Faymann, in dessen Stab er seit 2007 werkte, zuletzt als stellvertretender Kabinettschef. Der Wiener, Jahrgang 1960, ist als Bezirksparteichef von Hietzing gut in der stärksten Landesorganisation der SPÖ verankert. Auf deren Interessen wird Schmid in den kommenden Monaten besonders achten müssen, Wien wählt am 11. Oktober. Für die Partei ist das die mit Abstand wichtigste Wahl.
"Wiener Zeitung": Herr Schmid, haben Sie schon einmal etwas anderes als SPÖ gewählt?Gerhard Schmid: Nein.
Können Sie sich erklären, warum Ihre Partei seit Jahren bei Wahlen Stimmen und Prozente verliert?
Das ist kein exklusives Problem der SPÖ. Wir haben überall in Europa seit Jahrzehnten eine Situation, in der es regierende Parteien bei Wahlen sehr, sehr schwer haben. Auch in Deutschland hat die CDU von Kanzlerin Angela Merkel seit 2005 drei Viertel aller Landtagswahlen verloren. Darüber hinaus erleben wir generell eine schwierige Zeit für Politik: Die Spielräume sind - bedingt durch die große Wirtschaftskrise seit 2008 - enger geworden; das gilt auch für Österreich, obwohl wir dank erheblicher staatlicher Interventionen besser als andere Länder durch die Krise gekommen sind. Aber in so einer Lage stellen sich Menschen stets bange Fragen nach der Leistbarkeit ihrer Wohnung, der Sicherheit ihres Jobs und den Bildungschancen ihrer Kinder. Dabei entstehen Gefühle von Ohnmacht und Angst, die die Menschen nur schwer kompensieren können. Gleichzeitig haben viele eine Erwartungshaltung gegenüber der Sozialdemokratie, die historisch bedingt ziemlich groß ist. Genau das ist unser Problem - darin steckt aber auch unsere Lösung.
Und wie lautet diese Lösung?
Wir müssen die Politik so gestalten, dass die Ängste der Menschen gar nicht erst aufkommen; und dort, wo es tatsächlich diffuse Ängste gibt, müssen wir sie durch Information und Kommunikation abbauen.
Die Frage ist, ob die SPÖ zu dieser Kommunikationsleistung noch in der Lage ist: Bei manchen Funktionären gewinnt man den Eindruck, dass sie den realen oder auch nur eingebildeten Ängsten vor Globalisierung und Migration sprachlos gegenüberstehen. Die FPÖ trifft dagegen mit simplen Slogans das Lebensgefühl der Verunsicherten.
Ich halte es da mit Arthur Schopenhauer, der einmal gesagt hat: ‚Man wähle einfache Worte und formuliere damit ungewöhnliche Dinge.‘ Was stimmt, ist: Populisten haben es in Krisenzeiten immer leicht. Was aber das Engagement und die Kommunikationsfähigkeit unserer Leute angeht, mache ich mir überhaupt keine Sorgen, zumal die Kernfragen unserer Bewegung nach wie vor die gleichen sind wie zur Zeit der Gründung der Sozialdemokratie. Nur die Art, wie wir uns diesen Problemen nähern, muss sich an die vorhandenen Bedingungen anpassen. Und wir handeln auch: Wir haben jetzt mit der ÖVP eine Entlastung um fünf Milliarden Euro beschlossen. Nur: Wirklich spüren werden das die Menschen erst im Jänner 2016.
Machen wir die Probleme politischer Kommunikation konkret: Für manche ist unverständlich, dass ein Arbeiter für einen Vollzeitjob nur unwesentlich mehr bekommt als ein Mindestsicherungsempfänger, sagen wir ein anerkannter Flüchtling, der 827 Euro monatlich erhält. Was sagen Sie jenen, die das als ungerecht empfinden?
Man muss mit diesen Menschen das offene Gespräch suchen, vielleicht waren wir hier in der Vergangenheit zu passiv. Das muss sich ändern. Und wir müssen den Menschen erklären, dass die FPÖ vielleicht in den Gemeindebau kommt und alles Mögliche verspricht, dann aber im Parlament gegen ein gerechtes Steuersystem stimmt, das auch die Reichen stärker belasten würde. Diese Widersprüche bei den Freiheitlichen müssen wir aufdecken. In der Sache selbst sehen die Experten des Sozialministeriums die Fakten anders, das ändert aber nichts an der Notwendigkeit höherer Löhne. Das ist Aufgabe der Gewerkschaft, die jedoch von der Politik unterstützt werden muss.
Erklärungsnot hat die SPÖ auch beim Umgang mit der FPÖ, seit im Burgenland Rot-Blau regiert.
Für die Bundesebene ist die Sache mit dem Beschluss des Bundesparteitages eindeutig: keine Koalition mit der FPÖ. Aber nicht die SPÖ grenzt die Blauen aus, sondern die FPÖ grenzt sich selbst durch ihre politischen Handlungen vom Regierungstisch aus. Solange sich hier bei der FPÖ nichts ändert, verbietet sich eine Koalition mit ihr aus Gründen der politischen Moral.
Mit Verlaub: Politische Moral kann wohl nur schwer zwischen Bund und Land unterscheiden.
Faktum ist, dass die Landesparteien ihre Entscheidungen in eigener Verantwortung treffen. Auch Bruno Kreisky hat das so gehalten, denken Sie an die Geschichte der Kärntner Ortstafelfrage.
Wie lange hält die SPÖ die große Koalition noch aus - mental und wählerstimmentechnisch?
Das hängt davon ab, was wir an Sacharbeit in der Regierung mit der ÖVP zusammenbringen. Ich bin da durchaus optimistisch, weil ich überzeugt bin, dass die Protagonisten in der Koalition an einer sachlichen Zusammenarbeit interessiert sind. Ob das auch für alle Teile der ÖVP gilt, kann ich nicht beurteilen.
Im Bund ist die SPÖ vehement gegen ein mehrheitsförderndes Wahlrecht, in Wien verteidigt sie ein solches Modell mit Zähnen und Klauen - und bei der ÖVP ist es genau umgekehrt. Ist das nicht ein bisschen viel an inhaltlicher Flexibilität bei einem so zentralen Thema?
Wir sind nun einmal keine zentralistische Apparatur - und das ist eine jener Fragen, bei denen ein Bundespolitiker nicht in eine landesspezifische Angelegenheit eingreifen sollte. Die Wiener haben aufgrund ihrer politischen Kultur dieses Wahlrecht entwickelt und halten es für das Beste. Es gibt für jedes Wahlmodell eine ganze Liste von Pro und Contra.
Und in Österreich hat zufällig jede Wahlebene ein jeweils maßgeschneidertes Wahlrecht, von dem ausgerechnet die strukturelle Mehrheitspartei am stärksten profitiert?
Es ist nun einmal so, dass sich in jedem Gemeinwesen eine eigene Kultur entwickelt, aber die Unterschiede sind auch wieder nicht so gravierend.